eins seiner interviews, chef style versteht sich, ich hab die highlights markiert
Christoph Daum im F.A.Z.-Interview
„Ich will den Erfolgsbazillus züchten“
Bosporus-Bootsfahrt unter Kollegen
19. Oktober 2005
Fenerbahce-Trainer Christoph Daum vor dem Champions-League-Spiel gegen den FC Schalke über den Bundestrainer, Erfolgsrezepte und Zukunftspläne.
Wie ist Ihre Mannschaft in Form? Das 2:1 über Ankaragücü wirkt auf den ersten Blick nicht allzu überzeugend.
Jeder Sieg ist überzeugend.
Gehören Sie auch der Fraktion an, die nur das Ergebnis sieht und nicht die Leistung?
Fußball ist ein reiner Ergebnissport geworden. Und jeder Sieg ist eine Leistung. Uns wurde nichts geschenkt.
Noch mal: Wie ist Ihre Mannschaft in Form?
Sie wird von Spiel zu Spiel stärker und sicherer.
So stark, daß Sie problemlos gegen Schalke gewinnt?
Problemlos kann im Profibereich und gerade in der Champions League nicht mal ein Punkt geholt werden. Dafür muß man schon an die Leistungsgrenze gehen. Um drei Punkte zu holen, muß es schon im Detail stimmen.
Sind Sie von Schalke beeindruckt?
Ich habe die Mannschaft live gegen Nürnberg gesehen, da war sie nicht überragend. Aber ich habe darüber hinaus viele Kassetten erhalten. Gegen Milan waren sie absolut überzeugend, haben aber leider nicht gewonnen. Insgesamt wird Schalke mit fortschreitender Saisondauer stärker, wie wir.
Wenn Sie das Potential der beiden Teams vergleichen, welches hat Vorteile?
Wir dürften gleich stark sein.
Türkische Erstligaklubs klagen, Fenerbahce würde bevorzugt. Hat Ihr Klub eine Sonderstellung in der Türkei?
Das ist in der Türkei eine ähnliche Situation wie bei Bayern in Deutschland. Die müssen auch immer Unterstellungen und Angriffe über sich ergehen lassen. Das ergibt sich aufgrund der sportlichen Leistung. Als Galatasaray die türkische Meisterschaft dominierte, gab es solche Vorwürfe nicht. Man versucht dadurch, eine negative Stimmung gegen uns zu entfachen. Es ging so weit, daß Galatasaray Schiedsrichter abgelehnt hat und Spitzenspiele nur noch von ausländischen Schiedsrichtern gepfiffen haben wollte. Wir haben dann mit Fenerbahce die letzte Saison analysiert und herausgefunden, daß wir eher benachteiligt worden sind. Das Ganze entzündete sich an einem Handtor unseres Stürmers Anelka, das zugegebenerweise eines war. Irgendwann starteten Besiktas und Galatasaray dann sogar Plakataktionen mit dem Tenor: Wir wehren uns gegen die Bevorzugung Fenerbahces. Der Verband hat einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, ich bin gespannt, was da herauskommt.
Istanbul scheint ein heißes Fußballpflaster zu sein. Stimmt es, daß Sie trotz zweier Meistertitel mit Fenerbahce fast ununterbrochen in der Kritik standen?
Das ist noch untertrieben. Obwohl wir von einem Vereinsrekord zum nächsten marschiert sind, stand ich unter einem unvorstellbaren Feuer.
Was warf man Ihnen denn vor bei Ihren Erfolgen?
Suchen Sie sich etwas aus: Ich könnte mit Stars nicht umgehen, würde nur auf Ausländer setzen, würde die Türken benachteiligen, wäre teilnahmslos am Spielfeldrand. Symptomatisch war die Frage eines Journalisten nach dem Spiel gegen Milan. Wir hatten eine super Leistung gezeigt, bis zur 87. Minute ein 1:1 gehalten. Dann fällt das 1:2 und in der Nachspielzeit das 1:3. Dann fragt mich dieser Journalist: Welche Fehler haben Sie in den letzten vier Minuten gemacht?
Jetzt scheint man Ihnen aber Respekt zu zollen, oder?
Vor fünf Wochen habe ich öffentlich gesagt, es reicht. Ich bin gerne in Fenerbahce, aber ich überlege, ob ich mir das alles weiter antun muß. Ich könnte den Verein zu Saisonende verlassen, weil das Arbeiten hier so schwierig ist. Seitdem ist der Schalter wie umgelegt. Alle lieben mich plötzlich.
War Ihr Problem auf die Medien beschränkt, oder haben sich Fans und Verein anstecken lassen?
Das ging bis in die Mannschaft. Wenn du sieben Monate hörst, der Trainer hat keine Ahnung von Taktik, dann zeigt das irgendwie Wirkung. Es gab Zeiten, da fragte ich mich, wenn ich das Trainingsgelände betrat, na, welches Gerücht bringt das Team heute durcheinander? So ein Arbeiten wünsche ich keinem Kollegen.
Wie haben Sie die Spieler auf sich eingeschworen?
Durch eine ganz offene Aussprache. Ich habe ihnen gesagt, daß ich an einem Punkt angekommen bin, wo ich aufhören könnte. Aber glaubt ihr, eure Fehler würden behoben, wenn ein anderer kommt? Über mich braucht ihr euch keine Gedanken zu machen. Ich finde sofort einen neuen Verein. Wenn ich eurer Leistung im Wege stehe, dann auf Wiedersehen, dann gehe ich sofort.
Und wie haben Sie die Medien auf Ihre Seite gezogen?
Sie haben wohl gemerkt, was wäre eigentlich ohne Daum bei Fenerbahce los?
Beeindruckt Sie es nun, geliebt zu werden?
Es tut schon gut, Riesenplakate zu sehen mit Aufschriften: Wir sind deine Familie, wir lieben dich. Ich habe auch ein paar Auszeichnungen bekommen von Fangruppen. Fenerbahce hat ja geschätzte 30 Millionen Anhänger. Das läßt einen nicht völlig kalt, genauso wie die Attacken. Aber ich überbewerte auch beide Phänomene nicht.
Was hält Sie überhaupt bei Fenerbahce?
Als ich vor zwei Jahren kam, war Fenerbahce Siebter. Ich habe gleich 18 Spieler ausgetauscht, im zweiten Jahr sechs und nun noch mal zwei. Dabei waren insgesamt sieben türkische Juniorennationalspieler. Und es macht ganz einfach Spaß, sie in ihrer sportlichen und Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten. Manche sind sogar schon in der A-Nationalmannschaft, andere sind auf dem Sprung.
Also bleiben Sie?
Was soll ich Ihnen darauf antworten? Wer weiß, wie lange sie mich lieben? Wer weiß, wie lange ich Erfolg habe, ohne meine Erfolgsserie wäre ich schon längst weg. Lassen Sie uns gegen Schalke nur einen Punkt zu Hause holen und Dritter in der Champions-League-Gruppe, dann habe ich wieder Feuer unter dem Dach.
Sie hatten vor, bei der WM 2006 eine Mannschaft zu betreuen. Haben Sie schon einen Vertrag unterschrieben?
Nein, es gab lockere Anfragen wie: „Kannst du dir vorstellen, den und den 2006 in Deutschland zu betreuen?“ Jetzt kann ich mir grundsätzlich alles vorstellen im Fußball. Aber ich will bis Weihnachten keine Entscheidung treffen. Sosehr es mein Herzenswunsch ist, bei der WM 2006 dabeizusein, macht sich bei mir doch der Verstand breit: Ist es fair gegenüber Fenerbahce, nach zehn Monaten Saison, in denen man voll gepowert hat, noch die WM dranzuhängen? Es rückt mir immer mehr ins Bewußtsein: das schaffst du nicht.
Vielleicht wird ja bald in Deutschland ein Platz frei. Würden Sie Klinsmann gerne beerben?
Daran denke ich keine Sekunde. Jürgen Klinsmann hat eine hervorragende Arbeit geleistet, ein Team entwickelt, auf das wir bis zum Confed Cup alle stolz und voll des Lobes waren. Seitdem haben wir einige Probleme, ein gewisses Leistungstief. Aber mit Ballack sind wir 100 Prozent besser, und wir haben noch ein paar Erfahrene in der Hinterhand, die Klinsmann zur rechten Zeit einbeziehen wird. Klinsmanns Arbeit ist erst nach der WM zu beurteilen. Sein Posten steht aus meiner Sicht überhaupt nicht zur Disposition.
Das sehen viele in Deutschland anders.
Mag ja sein. Es ist doch das alte Spiel, das vor ihm Boris Becker, Steffi Graf und auch ich erlebt haben. Erst wirst du hochgepuscht und dann niedergemacht. Ich habe das Jürgen Klinsmann auch in einem Gespräch gesagt: das wird kommen, da wirst du durchmüssen. Und du wirst Zugeständnisse machen müssen, wo sie dir vertretbar erscheinen, und ansonsten unbeirrt deinen Weg gehen.
Sie spielen darauf an, daß Klinsmann in Kalifornien lebt und nicht nach Deutschland ziehen will?
Ob es die Qualität der Spieler verbessert, wenn er ständig in Deutschland ist, wage ich zu bezweifeln. Aber Klinsmann bietet eine offene Flanke. Es ist nun mal ein Unterschied, ob Löw, Bierhoff oder er präsent sind. Sie werden auch nicht für schlechte Spiele angegriffen. Aber es ist nicht richtig, die Sache nur Klinsmann anzukreiden. Es war vorher abgesprochen und abgesegnet worden. Und es wurde ein Jahr lang toleriert.
Was reizt Sie noch am Fußball?
Strukturen aufbauen, die lange halten: wie in Köln, wie in Stuttgart, wie in Leverkusen, wie bei Austria Wien, wie jetzt in Fenerbahce. Überall hätten sie mich gerne zurück, in Fenerbahce wollen sie, daß ich bleibe. Es macht mich stolz, über die Ergebnisse hinaus Spuren zu hinterlassen: in der Kommunikation, in der Talentsichtung und -förderung und so weiter. Meine Lebensphilosophie lautet: Erfolg ist planbar. Davon bin ich überzeugt, und ich kann es belegen.
Wie?
Nehmen sie meinen Punkteschnitt mit allen Mannschaften, die ich trainiert habe: Kein Klub in Deutschland und der Türkei hat mehr Punkte geholt als meine Teams - außer Bayern München, aber die haben andere Möglichkeiten.
Was ist Ihr Erfolgsplanungsrezept?
Ich versuche, nicht einfach Altes durch Neues, sondern nur durch Besseres zu ersetzen. Alles Neue erscheint nun mal als Bedrohung, jeder muß aus seiner Komfortzone raus. Ich beziehe deshalb die Leute mit ein, erarbeite alles mit ihnen Schritt für Schritt. Ich Willst du was verändern? Dann mußt du die Ursachen ändern, nicht die Symptome. Also, bist du bereit, etwas zu verändern? Klar sind sie es. Was erwartest du von den anderen, was sie ändern müssen? Die Antwort läßt du sie auf einen Zettel schreiben. Du sammelst den Zettel ein und legst ihm die Zettel hin, auf denen die anderen ihre Erwartungen an ihn aufgeschrieben haben. Und dann merkt er: Oh! Da steht ja das gleiche drauf. So merkt jeder, daß es auf ihn selbst ankommt.
Er bekommt es schriftlich.
Ja. Reden reicht nicht, da kann man falsch verstanden werden. Ein Organigramm ist wie ein Notenblatt. Jeder im Orchester hat an derselben Stelle dieselbe Note, und wenn noch Text druntersteht, singen alle an derselben Stelle dasselbe. In den meisten Vereinen schlummern Riesenpotentiale - nur muß man die richtigen Stecker zusammenbringen. In Leverkusen zum Beispiel haben wir in Zusammenarbeit mit Rudi Völler und Reiner Calmund das Bayer-Werk so mit einbezogen, daß es sich wiedererkennen konnte, die Grenzen der Einflußnahme aber klar abgesteckt waren. Es ergaben sich Synergien, die den Verein bis in die europäische Spitze gebracht haben.
Sie wurden in Deutschland, Österreich und der Türkei Meister. Ist Fußball überall gleich?
Fußball ist überall etwas anderes. Geschichte, Mentalität, Erziehung, Religion, alles hat Einfluß. Man muß die Ressourcen des Vereins und der Spieler erkennen, erkennen, in welcher Zeit etwas aufgebaut werden kann. Man darf die Leute nicht überfordern, man darf nicht Besserwisser, sondern muß Mitzieher sein.
Ich persönlich will den Erfolgsbazillus finden, ihn züchten und auf alle übertragen. Dieser Virus ist in jedem Land aber etwas anders.
Seit Ihrer Kokainaffäre wurden Sie nur noch Meister. Ein Zufall, oder sind Sie ein noch besserer Trainer geworden?
Darauf antworte ich nicht mehr. Ich will von dem Zwischenfall, wie ich ihn nenne, nichts mehr hören. Die Sache ist für mich beendet.
Wo würden Sie gerne Ihren Erfolgsplan noch anwenden?
Es wäre eine Riesensache, einen Klub wie Atletico Madrid zu übernehmen und gegen die übermächtigen Mannschaften Real und den FC Barcelona spanischer Meister zu werden.
Das Gespräch führte Peter Heß.