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Hat den film schon jemand gesehen?
Letzte Ausfahrt Brooklyn
Was macht ein Endzwanziger, der gerade einen Multi-Millionen-Dollar-Vertrag abgeschlossen hat? Klar, er gibt eine Party. Dave Chappelle hat diese instinktive Entscheidung mit dem smarten Vorhaben verknüpft, einige berühmte Musiker aus Brooklyn auf die Party einzuladen, den französischen Videoclip-Träumer Michel Gondry mit einer Kamera mitten hineinzuwerfen und so einen mitreißenden Konzertfilm zu produzieren.
Geworden ist daraus nichts weniger als das „Buena Vista Social Club“-Äquivalent für die Unter-Dreißigjährigen. Damals wie heute war kein Vorwissen über die Kultur dieser Menschen nötig – sie erschließt sich sofort aus den Stimmen, den Gesichtern, der Musik. Und damals wie heute hatte die Freude am Musikfilm nichts mit dem musikalischen Geschmack zu tun – selbst die Rap-Hasser werden begeistert mitwippen, weil es hier nicht um Genres geht, sondern um reines Herzblut.
Es geht, daran läßt niemand einen Zweifel, generell um den Triumph der schwarzen Kultur und speziell um ein musikalisches Klassentreffen einiger Gruppen aus Brooklyn, die sich nach vielen Jahren des internationalen Starruhms wieder in ihrer alten Nachbarschaft treffen, um ein mächtiges Konzert abzubrennen. Wie bei jedem Klassentreffen ist inzwischen viel passiert: Einige sind radikal geworden, andere gesetzt, einige reich und einflußreich, andere eher Geheimtips. Wie erstaunlich kompatibel ihre Musik trotzdem ist, zeigt sich in der Tatsache, daß nicht nur alle dieselbe Backgroundband benutzen, sondern auch ohne große Vorbereitung einfach in den Auftritt der Kollegen reinlaufen und mitjammen können. Man hätte nicht erwartet, daß es zwischen dem groovigen Stimmwunder Erikah Badu, den politischen Kampftiraden der Dead Prez und den jazzigen Improvisationen der Dichterin Scott Hill irgendwelche Berührungspunkte gäbe, aber da sind sie, gemeinsam auf einer Bühne, und machen Musik. Kein Wunder: Man kennt sich aus den New Yorker Jam-Kneipen und aus den Zeiten, da noch keiner von ihnen einen Plattenvertrag hatte. Und wenn vor dem Konzert alle Beteiligten zusammenkommen, um in einem transkonfessionellen Gebet Jesus, Allah und mindestens zwei anderen Göttern für diesen Tag zu danken, dann wird klar, wie multikulturell und pluralistisch diese schwarze Community längst geworden ist.
Chappelle, der dieses Klassentreffen aus reiner Bewunderung organisiert hat, ohne irgendwie dazuzugehören, versucht immer wieder daran zu erinnern, daß dieser Film auch seine Geschichte ist, indem er zum Beispiel seine eigene Heimat in Ohio besucht und dort weiße Ladenbesitzerinnen und die Hippies aus dem Pizzaladen auf seine Party einlädt. Aber er und Gondry, dessen ewig kindlicher französischer Akzent zwischen all den fluchenden New Yorkern die Frage aufwirft, wie er es überhaupt geschafft hat, am Tisch der großen Jungs geduldet zu werden, halten sich geschickt im Hintergrund. Genau wie einst Ry Cooder und Wim Wenders haben sie verstanden, daß ihre Geschichte nicht ansatzweise so interessant ist wie die der Musiker. Besonders Gondry, sonst nicht gerade für seine Zurückhaltung berühmt, macht alles richtig, was es im Konzertfilm richtig zu machen gibt: Er kommentiert die Performances nicht durch eine unnötig expressive Inszenierung, er hackt das Konzert nicht im Schneideraum zu einem pseudo-coolen Hektikmix zusammen, er braucht auch keine bizarren Kamerawinkel oder Reißschwenks, um das Bühnengeschehen abwechslungsreich und dynamisch zu halten. Stattdessen läßt er die mitreißende Musik und die beeindruckende Performance der Künstler in langen, ruhigen Einstellungen ganz für sich selbst sprechen und schneidet nur manchmal weg, um mit einem liebevollen Auge backstage zu schauen, wo Chappelle und andere Fans ungelenk, aber begeistert mitsingen, mitrappen, mittanzen.
Überhaupt schaut sich Kameraveteranin Ellen Kurass die Menschen sehr genau an, zoomt tief in ihre Gesichter hinein, fängt Details ihrer Kleidung ein. Sie läßt Chappelle seine Show abziehen und seine (tatsächlich sehr guten) Witze erzählen, sie folgt ihm mit digitaler Handkamera auf dem Weg seiner Straßen-Impros, beobachtet ihn aber auch in intimeren Momenten, beim Schlafen oder Nachdenken. Gemeinsam mit Gondry und Chappelle forscht sie nach der schwarzen Kultur in Amerika, von den reichen Afroamerikanern in den Vororten (die Chappelle liebevoll „die Huxtables“ nennt) bis zu den Kindertagesstätten und Abbruchhäusern in den sozial schwachen Vierteln von New York. Künstler wie Mos Def, die Dead Prez, Kayne West oder die wundersam wiedervereinten Fugees, die allesamt in solchen Straßen aufgewachsen sind, lassen hier alle Starallüren fallen. In der eigenen Nachbarschaft gibt es kein Blingbling mit „bunten Clips mit schicken Tricks und hippen Schnitten, die Mietcliquen zum Beat nicken“, wie das einst ein deutscher Rap-Kollege analysiert hat, hier sind sie nur ein Haufen schwarzer Jungs und Mädels in Jeans und T-Shirt, die Musik machen wollen. Diese Tatsache, daß ihnen das so mitreißend gelingt, macht diesen Film ebenso zu einem kleinen Juwel wie der charmante Blick auf die Kultur und die Menschen hinter der Musik.
Daniel Bickermann
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