Die Aktualität des Marxschen „Kapital“ I: Mehrarbeit und Ausbeutung
„Das Kapital aber hat einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerten, Mehrwert zu schaffen, mit seinem konstanten Teil, den Produktionsmitteln, die größtmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen“ (Karl Marx: „Das Kapital“ Band I, MEW 23, S. 247).
Die derzeitige Debatte um unentgeltliche Verlängerung der Arbeitszeit steht voll und ganz im Zeichen der Erweiterung des absoluten Mehrwerts. „Mehrwert“ entsteht für Marx dann wenn die Arbeit in ihrer produktiven Verwertung mehr Wert schafft, als sie selber (in Form des Lohnes) entgolten bekommt. Der Mehrwert kann folglich gesteigert werden durch die Entwicklung der Produktivität der Arbeit – dies geschah in den neunziger Jahren z.B. mit etwa 2,5 Prozent jährlich, wobei durch die „Lohnzurückhaltung“ der relative Mehrwert deutlich zunahm, der gesamte Produktivitätsgewinn also an die Kapitalbesitzer floß. Er kann aber auch durch eine Verlängerung des Arbeitstages gesteigert werden, wenn diese Verlängerung nicht entsprechen abgegolten wird. Während der Arbeitstag nämlich verlängert wird, steigt das Produkt der Arbeit, das Mehr-Produkt. Dieses Mehr-Produkt wird klassisch als „Surplus“ bezeichnet, denn es wird zwar durch Arbeit hergestellt, nicht aber von denjenigen, welche ihre Arbeitskraft hier produktiv verausgaben, angeeignet. Es fällt an die Klasse der Produktionsmittelbesitzer, welche Arbeitskraft kaufen und produktiv verwerten im Produktionsprozeß. Kurzum:
Die Diskussion um unentgeltliche Arbeitszeitverlängerung ist Teil des „Kampfes um den Normalarbeitstag“ (Marx), in welchem sich der Kampf um den gesellschaftlichen Surplus verdichtet. Der Heißhunger des Kapitals nach Verlängerung der Arbeitszeit entspricht seinem Heißhunger nach größtmöglicher Auspressung der Lohnarbeit zwecks Steigerung der Profitrate.
Eine ganz andere Frage ist natürlich die, ob in einem ökonomischen Kreislaufprozeß (wo „Kosten“ eben wieder als „effektive Nachfrage“ auftauchen) Arbeitszeitverlängerungen wirklich die Profitmasse steigern können, oder ob sich hier nicht auch neue Verwertungsprobleme ergeben. Hellman und Bran haben hier im PF diese Zusammenhänge oft betont und herausgearbeitet.
Zur Klassen- und Surplustheorie gibt es neben Marx auch noch die Ausbeutungstheorien von Piero Sraffa und den Neoricardianern (welche ohne Werttheorie mittels Input-Output-Analyse arbeiten) sowie den „Analytischen Marxisten“ um John Roemer (welche mittels Spieltheorie und neoklassischem „methodologischen Individualismus“ Ausbeutung bzw. Klassenstrukturen herausstellen, also die Marxsche Surplustheorie ganz neu formulieren im Rahmen neoklassischer Modelle).
Lest dazu die hervorragenden Bücher von Jürgen Ritsert von der Uni Frankfurt:
1.) “Der Kampf um das Surplusprodukt“ (1988, Campus-Verlag). Hier wird auch das Modell von Sraffa eingehend besprochen sowie die Kontroverse zwischen den Schülern Sraffas und den Neo-Marxisten. Auch Max Weber und John Roemer werden eingehend besprochen.
2.) “Soziale Klassen“ (1998, Verlag „Westfälisches Dampfboot“). Sraffas Ansatz wird hier nicht mehr besprochen, dafür werden Max Webers und vor allem Pierre Bourdieus Klassentheorie genauer untersucht. Auch Marx wird hier sehr kenntnisreich vorgestellt.
Bekanntlich hat Marx im „Kapital“ (S. 161 ff.) die kapitalistische Warenzirkulation differenziert ausgewiesen im Gegensatz zu vorkapitalistischen Systemen der Warenproduktion (von der Diskussion um die „logische“ und die „historische“ Methode im „Kapital“ bzw. deren Verhältnis sehe ich der Einfachheit halber hier ab).
Idealtypisch schlägt Marx zwei Zirkulationsfiguren vor um die spezifisch kapitalistische Warenbewegung kenntlich zu machen:
(1) W –G – W (Ware –Geld – Ware)
(2) G – W – G’ (Geld – Ware – mehr Geld)
Der einfache Kreislauf (1) besteht darin, dass Waren verkauft werden für Geld und mit dem Geld wiederum andere Waren eingekauft werden. Das Geld ist gewissermaßen der vermittelnde „Ruhepol“ zwischen zwei äquivalenten Gebrauchswerten. Dieses schlichte Schema enthält bereits einige Annahmen über den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß sowie die Motive der Akteure (sh. dazu und zum Folgenden Jürgen Ritsert (1998): Soziale Klassen, S. 58 ff.). Prinzipiell steht der Erwerb von Gebrauchswerten im Zentrum dieser (arbeitsteiligen) Reproduktionsstruktur.
Die zweite Kreislaufformel ist in einer Hinsicht ganz anders strukturiert als die erste: Es handelt sich hier um die „allgemeine Formel des Kapitals“, denn „der ursprünglich vorgeschossne Wert erhält sich nicht nur in der Zirkulation, sondern in ihr verändert er seine Wertgröße, setzt einen Mehrwert zu, oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital“ (MEW 23, S. 167). Jeder Mensch kennt diesen Zusammenhang aus unserer ökonomischen Praxis heraus: Anlage suchendes Kapital (in Geldform) wird investiert, und die Investition muß eine (möglichst hohe) Rendite abwerfen. Produziert wird einzig und allein für den Zweck der Vermehrung von investiertem Geld, nicht (wie in (1)) für den Konsum. Der Konsum ist nur ein „Nebenprodukt“, ein Funktionsglied der Verwertungsbewegung des Kapitals.
Die exaktere Formel des Kapitalkreislaufes bei Marx lautet:
(3) G – W (Ak+Pm) …P…W’ – G’ =>
Ak steht für “Arbeitskraft“, Pm für “Produktionsmittel” und P für „Produktion“.
Marx stellt den Produktionsprozeß P ins Zentrum, hier werden Arbeitskraft und Produktionsmittel produktiv eingesetzt, kombiniert und Wertschöpfung betrieben. Diese Formel lässt Platz für „die historische Trennung von Betrieb (’Produktionsstätte’) und Haushalt (‚Konsumstätte’)“ (Ritsert 1998, S. 60). Das Handelskapital beispielsweise ist Teil der späteren Bewegung (nach P), in deren Verlauf der Warenwert realisiert wird.
Im Bereich P spielt sich auch die Surplusarbeitszeit ab, welche den in verschiedene Formen des Profits zerfallenen Mehrwert speist. Der Mehrwert wiederum ergibt sich aus der Differenz der Aufwendungen für Löhne (Input) und der produktiven Verausgabung der Ware Arbeitskraft (Output). Kreditbeziehungen können in die Zirkulationsformel ebenfalls integriert werden, indem am Anfang und am Ende ein Kreditverhältnis gesetzt wird:
G(K) - G – W (Ak+Pm) …P…W’ – G’ – G(K’)
Unter G(K) bzw. G(K’) firmiert der Unternehmenskredit (und somit das Bankensystem), welcher die Unternehmen mit Kapital versorgt und der am Ende eine Aufspaltung in Unternehmensgewinn und Zins (Gewinn des Kreditgebers) bedeutet.
Ein Ergebnis der Marxschen Zirkulationsschemata ist z.B. die Zurückweisung des Sayschen Getzes, welches implizit Form (1) voraussetzt (bzw. sogar noch vor Form (1) zurückfällt und direkte Tauschandlungen ohne Vermittlung von Geld impliziert) und logisch nicht gelten kann unter Form (2), da hier die Ware als Produkt von Kapitalien behandelt wird und Überproduktion “in Bezug auf die Verwertung“ (Marx) möglich wird. Form (1) dagegen kann unmöglich Überproduktion oder Unterkonsumtion hervorbringen, da hier das Geld ohnehin eine „verschwindende Form“ ist und nicht Motor der Bewegung wie bei Form (2). Keynes hat in seiner „General Theory“ als kluger Realist die Marxsche Zirkulationsformel angewandt und ist zum selben Ergebnis gekommen.
Auf einen anderen wichtigen Punkt verweist Tomas Moulian in seinem kürzlich erschienen Buch (2003) „Ein Sozialismus für das 21. Jahrhundert“:
„Der Kapitalismus verwandelt die in die produzierten Güter eingebrachte Arbeit in etwas Abstraktes, indem er Gebrauchswert und Tauschwert voneinander trennt. Auf dieses Weise verlieren die Güter ihren Bezug zur Reproduktion des Lebens, weil sie in Bezug zur Reproduktion des Kapitals stehen“ (S. 193/194).
Auch dieser tagtäglich zu beobachtende Zusammenhang wird erst bei genauer Analyse der Marxschen Zirkulationsformel sichtbar, denn der Gebrauchswert ist in Bewegung (2) und (3) nur mehr ein MITTEL zum Zwecke der Akkumulation abstrakter Wertquanta. Die Ware
steht also in einer bestimmten Beziehung zum Geld: Sie ist nicht mehr wie in Formel (1) Ausgangs- und Endpunkt einer um den Gebrauchswert strukturierten Produktionsweise, sondern Teil der objektiven Verwertungsbewegung des auf sich selber rückgekoppelten Geldes in seiner Kapitalform.
Weitere wichtige Aspekte der Zirkulationsformel (3) sehe ich hierin:
1.Sie berücksichtigt die Existenz „freier Lohnarbeit“ sowie deren spezifisches Tauschverhältnis mit dem Kapital.
2.Sie berücksichtigt den Privatbesitz an Produktionsmitteln.
3.Sie weist der Marxschen Wertform-Analyse einen zentralen Punkt zu, nämlich im Verständnis der Verwandlung materieller Prozesse (P) in ihre soziale Form (nämlich in ihre Geldform, welche stets Kapitalform annimmt).
4.Der Wachstumszwang des Kapitalismus wird hier anschaulich erklärt: Wachstum ist nämlich nur ein anderes Wort für „Verwertung des Werts“.
5.Der bürgerlich-liberale Dualismus von Individuum und Gesellschaft wird hier ad absurdum geführt, denn die materielle gesellschaftliche Reproduktion (im Punkt (P) als dem Ort der gesellschaftlichen Arbeit) vollzieht sich gerade über die Einbeziehung der am Markt agierenden Individuen (Arbeiter, Kapitalbesitzer, Management, Banker) in die spezifisch kapitalistische Produktionsweise.
6.Kreditbeziehungen und somit die Aufspaltung des Mehrwertes in seine verschiedenen Formen werden hier problemlos mit einbezogen und erhellt. Man kann eben nicht „Geld für sich arbeiten“ lassen, sondern nur über produktiven Einsatz von Technik und Arbeit Geld in mehr Geld verwandeln.
7.Die Trennung von Management („fungierende Kapitalisten“) und Kapitalbesitzern (Aktienbesitzern, Kreditgebern usw.) wird hier kenntlich gemacht.
Es handelt handelt sich bei Formel (3) folglich um eine eminent soziologische Form der Gesellschaftsanalyse, welche natürlich nicht alle Phänomene hinreichend erfassen kann, die aber ein gutes allgemeines Verständnis der prinzipiellen Funktionsmechanismen eines modernen Kapitalismus eröffnet.
Daß bürgerliche Ökonomen über Form (1) nicht hinauskommen zeigt den Niedergang der Apologie, die sich keine wissenschaftlich seriösen Erkenntnisse mehr erlauben darf, denn sonst würde sie ihren Auftrag gefährden:
Die Heiligsprechung des globalen Standort-Wahns und die Vorbereitung der Menschheit auf den Rückfall in eine neue Barbarei. Die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie beantwortet diese morbide Esoterik mit radikaler Aufklärung aus emanzipatorischer Perspektive.
Die allgemeine Zirkulationsformel des Kapitals lauter nach Marx bekanntlich:
G – W (Ak+Pm) …P…W’ – G’ =>
(Ak steht für “Arbeitskraft“, Pm für “Produktionsmittel” und P für „Produktion“)
Das einzelne Unternehmen muß also im Rahmen seines ökonomischen Aktivität erstens die Mittel seiner Produktion erwerben und zweitens seine Erzeugnisse verkaufen. Es steht folglich über Märkte ständig in Interaktion mit anderen Unternehmen, die es beliefert, und von denen es beliefert wird. Darüber besteht kein Zweifel in einer arbeitsteiligen Volkwirtschaft.
Marx hat sich nun im zweiten Band des „Kapital“ die logische Frage gestellt, wie die verschiedenen Kreisläufe der Einzelunternehmen geordnet und zusammengefasst werden können zum besseren Verständnis der Reproduktionsstruktur des gesamten Systems. Hierfür unterteilt er die Unternehmen zunächst in zwei große Gruppen: Jene welche Produktionsmittel (Pm) und jene, welche Konsumtionsmittel (Km) herstellen. Der in beiden Abteilungen produzierte Mehrwert wird nach der Art seiner Verwendung unterteilt in erstens jenen Teil, welchen die Kapitaleigner selbst für ihren privaten Konsum verwenden (private Revenue mr) und zweitens den Teil, welchen sie erneut investieren und somit als Kapital einsetzen, also akkumulieren (ma). Da dieses reinvestierte Kapital nun zum einen neue Produktionsmittel kauft und zum anderen neue Arbeitskraft, zerfällt es in mac und mav. Wir erinnern uns: mit „c“ ist bei Marx immer jener Bestandteil des kapitalistischen Unternehmens gemeint, der aus Produktionsmitteln besteht (also Maschinen jeglicher Art), mit „v“ die Löhne als der in lebendige Arbeitskraft investierte Teil. Der Mehrwert „m“ besteht in dem Überschuß des Warenwertes über den Wert nach Ausgaben für Produktionsmittel und Löhne.
Das Ausgangsschema der „erweiterten Reproduktion“ des Kapitals lautet dann:
(1)Abteilung I: c1 + v1+ mac1 + mav1 + mr1 = Pm
(2)Abteilung II: c2 + v2 + mac2 + mav2 + mr2 = Km
Es handelt sich hier um eine eindeutig arbeitsteilige Wirtschaft, in welcher Unternehmen über Märkte miteinander in Austauschbeziehungen stehen.
Wie wir sehen können wird übergreifend die Nachfrage nach Produktionsmitteln ausgedrückt in den Terms c1 + c2 + mac1 + mac2 (welcher dann identisch ist mit c1 + v1+ mac1 + mav1 + mr1 aus Gleichung (1)). Die Gesamtnachfrage nach Waren des persönlichen Konsums geht aus von v1 + v2 + mav1 + mav2 + mr1 + mr2 (welcher dann identisch ist mit c2 + v2 + mac2 + mav2 + mr2 aus Gleichung (2)).
Jede Abteilung deckt auch ihren eigenen Bedarf in Teilen ab, denn Abteilung I verbraucht ja selber Produktionsmittel (welche sie herstellt) und Abteilung II selber Konsumtionsmittel (welche auch sie selber herstellt). Abteilung I erzeugt folglich den Gegenwert der eigenen Produktionsmittel c1 + mac1 und Abteilung II stellt selber her die Konsumgüter v2 + mav2 + mr2. Wenn diese Anteile der Eigenproduktion nun aus dem Schema gestrichen werden, ergibt sich der notwendige Austausch zwischen beiden Abteilungen in der Gleichung:
v1 + mav1 + mr1 = c2 + mac2
Dies stellt somit die unbedingte “Klammer” dar zwischen den beiden Produktionsabteilungen. Abteilung I muß also die Produktionsmittel für II herstellen und gleichzeitig eine ausreichende Nachfrage nach deren für sie produzierten Konsumgütern bereitstellen. Umgekehrt muß Abteilung II ausreichend Konsumgüter für Abteilung I produzieren und gleichzeitig ausreichend Produktionsmittel von I nachfragen, so dass dort kein Überschuß oder Mangel an Produktionsmitteln im Austausch entsteht.
Die englische Ökonomin Joan Robinson hat schon wenige Jahre nach dem Erscheinen von Keynes’ „General Theory“ 1942 darauf aufmerksam gemacht, dass bei Marx bereits implizit eine Theorie der „effektiven Nachfrage“ vorliegt. Sie fasst ihre Ausführungen in ihrem Buch „Grundprobleme der Marxschen Theorie“ in dem Kapitel „Die effektive Nachfrage“ so zusammen:
„Die Konsumtion der Arbeiter wird begrenzt durch ihre Armut, während die Konsumtion der Kapitalisten begrenzt wird durch ihre Habsucht nach Kapital, welche sie veranlasst, Reichtum zu akkumulieren statt Luxusaufwendungen zu machen. Die Nachfrage nach Konsumgütern (dem Produkt der Abteilung II) ist auf diese Weise begrenzt. Aber wenn der Output der Konsumgüterindustrien durch den Markt beschränkt ist, so bestehen wiederum auch Schranken für die Nachfrage nach Kapitalgütern (Abteilung I), denn das konstante Kapital der Konsumgüterindustrien wird sich nicht rasch genug ausdehnen, um den potentiellen Output der Kapitalgüterindustrien zu beanspruchen. So ist die Einkommensverteilung zwischen Löhnen und Gewinnen dergestalt, dass sie eine chronische Tendenz zu einem mangelhaften Ausgleich zwischen den beiden Abteilungen hervorruft“ (S. 68 der „Metropolis“-Ausgabe von 1989).
Die wechselseitige Verflechtung der beiden fundamentalen Sektoren erweist sich also als überaus problematisch vor dem Hintergrund der rein mikroökonomisch ausgerichteten Motivation der Akteure. Die sattsam bekannte „Schwäche des Binnenmarktes“ (sprich: effektiver Nachfrage auf dem Binnenmarkt) lässt sich also leicht im Rahmen der Marxschen Schemata darstellen, denn hier wird ja über die Verklammerungs-Formel klargestellt, dass die Expansion von Sektor I an die Konsumtionskraft von Sektor II gebunden ist. Damit die „erweiterte Reproduktion“ des Kapitals möglich ist muß eine ausreichende Nachfrage nach Gütern des Sektors II gegeben sein, denn sonst kann Sektor I nicht wachsen und folglich der Mehrwert der vorhergehenden Periode nicht gewinnbringend re-investiert werden. Marx und Keynes reichen sich hier also durchaus die Hand.
Die Marxschen Schemata können selbstverständlich erweitert werden z.B. auf 3 Sektoren, also Sektor I und II wie bereits erörtert plus eines Sektors III für Luxusgüter (welcher sich über die Revenuen mr1 und mr2 alimentiert). Ein vierter Sektor könnte eingeführt werden wenn Sektor I ebenfalls differenziert wird in einen Sektor, der Produktionsmittel zur Produktion von Produktionsmitteln herstellt und einen Sektor, der Produktionsmittel zur Herstellung von Konsumgütern hervorbringt. Schrittweise könnte so eine Annäherung an die Wirklichkeit der kapitalistischen Produktionsweise erreicht werden. Leontieffs Input-Output-Economics haben diese Möglichkeit bekanntlich systematisch umgesetzt.
Zur Aktualität des Marxschen „Kapital“ IV: Die „Trinitarische Formel“
1.Den schönen Schein der bürgerlichen Gesellschaft, daß ihre Grundkategorien „Arbeit“ und „Kapital“ (zu Marx’ Zeiten auch noch wichtig: das „Grundeigentum“, das ich hier ausspare aus Platzgründen) transhistorische Kategorien sind, welche allen Produktionsweisen zu eigen sind, zerstörte Marx mit seiner historischen und logischen Untersuchung dieser Kategorien selbst. „Kapital“ im Sinne der bürgerlichen Ökonomen nennt er „Produktionsmittel“, und er unterscheidet „Kapital“ als sich verwertenden Wert (bürgerlich: Geldkapital, das rendite-orientiert investiert wird) von „Kapital“ als „Produktionsmittel“. Letzteres existiert in jeder menschlichen Gesellschaft, ersteres dagegen ist in seiner modernen Form an eine Reihe historischer und politischer Gesellschaftsstrukturen gebunden.
2.Der Trick der bürgerlichen Ökonomie ist nun, daß sie die historisch-gesellschaftlichen Formbestimmungen des ökonomischen Gegenstandes komplett ausblendet und allein auf der Ebene ahistorisch-technischer Funktionszusammenhänge argumentiert. Auf dieser Ebene lassen sich aber die gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhänge, in welchen die technischen Kategorien „Arbeit“ und „Produktionsmittel“ jeweils Anwendung finden, nicht beschreiben. Die bürgerliche Ökonomie lässt deshalb kurzerhand beide in eins fallen und identifiziert diese allgemeinen Produktionszusammenhänge (ahistorisch-unvermittelte Beschreibungsebene A) mit der Produktionsform der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft (historisch-gesellschaftliche Beschreibungsebene B). Folglich wird viel vom „natürlichen Preis“, dem „natürlichen Zins“ usw. geredet, denn im Prinzip sind auch die quantitativen Aussagen an die Idee eines "natürlichen", sich selbst regulierenden Gleichgewichtsmechanismus (den man der Mechanik entnommen hat!) angelehnt.
Mit der neoklassischen Wert- und Verteilungstheorie ist dieses Programm dann vollendet worden und der „natürliche Preis“ wird seither verstanden als das Produkt der marginalen Faktoreinsätze der Produktionsfaktoren. Die Maschine produziert ihren Wertanteil die Arbeit und beide zusammen bilden den Wert des Endproduktes. Da die Maschine aber selber kein Einkommen erhalten kann, erhält der Besitzer der Produktionsmittel das Einkommen als Entschädigung für seinen „Konsumverzicht“. Mensch und Maschine (bzw. „Produktionsmittel“) sind also einander gleichgestellt in der Neoklassik, denn sie betrachtet das Preissystem ausschließlich vom Standpunkt technischer Betriebsabläufe aus und nicht vom Standpunkt der Arbeitswerttheorie. Für Letztere ist nämlich die Technik nur ein Hilfsmittel für die Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit (die ihren Eigenwert lediglich auf das Produkt überträgt) und die Arbeit Substanz der Wertform resp. des Geldes. Dem mikroökonomisch-produktionstechnischen Axiom der Neoklassik steht hier also eine monetäre Theorie der gesellschaftlichen Synthesis privater Produzenten entgegen, die ihre Arbeitsaufwendungen unter Nutzung von Produktionstechniken steigern und somit in ihrem Preissystem menschliche Energie gekoppelt mit technisch determinierter (Arbeits-) Produktivität einsetzen. (Sh. ausführlicher auch mein Thread:
3.Marx hat in seinen Ausführungen zur „Trinitarischen Formel“ im dritten Band des „Kapital“ eine Kritik an der bürgerlichen Einkommenstheorie formuliert als Kritik an der ökonomischen Klassik. Sie gilt unverändert auch der Neoklassik:
„Fällt also die Arbeit mit der Lohnarbeit zusammen, so fällt auch die bestimmte gesellschaftliche Form, worin die Arbeitsbedingungen nun der Arbeit gegenüberstehen, zusammen mit ihrem stofflichen Dasein. Die Arbeitsmittel sind dann als solche Kapital, und die Erde als solche ist Grundeigentum. Die formale Verselbständigung dieser Arbeitsbedingungen gegenüber der Arbeit, die besondere Form dieser Verselbständigung, die sie gegenüber der Lohnarbeit besitzen, ist dann eine von ihnen als Dingen, als materielle Produktionsbedingungen untrennbare Eigenschaft, ein ihnen als Produktionselementen notwendig zukommender, immanent eingewachsener Charakter. Ihr durch eine bestimmte Geschichtsepoche bestimmter sozialer Charakter im kapitalistischen Produktionsprozeß ist ein ihnen naturgemäß, und sozusagen von Ewigkeit her, als Elementen des Produktionsprozesses eingeborener dinglicher Charakter“ (MEW 25, S. 833).
4.Michael Heinrich merkt dazu an:
„Die sozialen Formbestimmungen Lohnarbeit, Kapital und Grundeigentum fallen anscheinend mit den stofflichen Produktionsbedingungen Arbeit, Produktionsmittel und Erde zusammen, so daß jeder Arbeitsprozeß eigentlich schon kapitalistischer Produktionsprozeß ist“ (Kritik der Politischen Ökonomie – Eine Einführung, Schmetterling Verlag 2004, S. 184).
Die „Versachlichung“ gesellschaftlicher Zwänge wird somit affirmativ in die Theorie übernommen, die nur noch „Sachen“ kennt und auch den Menschen anhand einer sozialen Physik (die der klassischen Mechanik entnommen ist) zur „Sache“ erklärt, die ohne Geschichte und soziale Beziehung die Kategorien des Kapitals als ewig unveränderliche „Vernunftbestände“ zu akzeptieren hat. Das Individuum hat fortan nur noch im Rahmen der neoklassischen Monadologie als asozialer „Nutzenmaximierer“ sich zu verhalten, welcher seinem gesellschaftlichen Produktionszusammenhang gegenüber unterwürfig und gleichgültig ist. Der „Nutzen“ der kapitalistischen Wirtschaftform selbst wird durch Rekurs auf abstrakte Individuen und ahistorische soziale Formen verschleiert. Die Auslieferung des Menschen an die Imperative der Kapitalverwertung nimmt so die Form der „Freiheit“ an.
Sh. auch folgende Zitate Marxens:
Das Kapital Band III, MEW 25, S. 838:
„Im Kapital - Profit, oder noch besser Kapital - Zins, Boden - Grundrente, Arbeit - Arbeitslohn, in dieser ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang der Bestandteile des Werts und des Reichtums überhaupt mit seinen Quellen ist die Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse, das unmittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer geschichtlich-sozialen Bestimmtheit vollendet: die verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben. Es ist das große Verdienst der klassischen Ökonomie, diesen falschen Schein und Trug, diese Verselbständigung und Verknöcherung der verschiednen gesellschaftlichen Elemente des Reichtums gegeneinander, diese Personifizierung der Sachen und Versachlichung der Produktionsverhältnisse, diese Religion des Alltagslebens aufgelöst zu haben“.
Das Kapital Band III, MEW 25, S. 839:
„In der Darstellung der Versachlichung der Produktionsverhältnisse und ihrer Verselbständigung gegenüber den Produktionsagenten gehen wir nicht ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt, seine Konjunkturen, die Bewegung der Marktpreise, die Perioden des Kredits, die Zyklen der Industrie und des Handels, die Abwechslung der Prosperität und Krise, ihnen als übermächtige, sie willenlos beherrschende Naturgesetze erscheinen und sich ihnen gegenüber als blinde Notwendigkeit geltend machen. Deswegen nicht, weil die wirkliche Bewegung der Konkurrenz außerhalb unsers Plans liegt und wir nur die innere Organisation der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt, darzustellen haben.
In frühern Gesellschaftsformen tritt diese ökonomische Mystifikation nur ein hauptsächlich in bezug auf das Geld und das zinstragende Kapital. Sie ist der Natur der Sache nach ausgeschlossen, erstens, wo die Produktion für den Gebrauchswert, für den unmittelbaren Selbstbedarf vorwiegt; zweitens, wo, wie in der antiken Zeit und im Mittelalter, Sklaverei oder Leibeigenschaft die breite Basis der gesellschaftlichen Produktion bildet: die Herrschaft der Produktionsbedingungen über die Produzenten ist hier versteckt durch die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse, die als unmittelbare Triebfedern des Produktionsprozesses erscheinen und sichtbar sind. In den ursprünglichen Gemeinwesen, wo naturwüchsiger Kommunismus herrscht, und selbst in den antiken städtischen Gemeinwesen ist es dies Gemeinwesen selbst mit seinen Bedingungen, das als Basis der Produktion sich darstellt, wie seine Reproduktion als ihr letzter Zweck. Selbst im mittelalterlichen Zunftwesen erscheint weder das Kapital noch die Arbeit ungebunden, sondern ihre Beziehungen durch das Korporationswesen und mit demselben zusammenhängende Verhältnisse und ihnen entsprechende Vorstellungen von Berufspflicht, Meisterschaft etc. bestimmt. Erst in der kapitalistischen Produktionsweise“.
Zur Aktualität des Marxschen „Kapital“ V: Die Werttheorie
1.Im ersten Band des Marxschen „Kapital“ wird die Werttheorie grundlegend entwickelt in ihrer qualitativen Dimension. Dabei ist der Marxsche Wert-Begriff vierdimensional angelegt, nämlich in Substanz, Form und Größe des Wertes und in der Dimension der Zeit. Diese Begriffe möchte ich aus meiner Sicht in Kürze vorstellen:
A.)Die Wert-Substanz
Die „Wert-Substanz“ deutet bereits vom Begriff her an, daß nach Marx im Waren-Wert etwas Substantielles „erscheint“, das dem quantitativen Wert seine spezifische Qualität zuweist (und ihn somit rational erklärbar macht). Nach Marx ist dies die „abstrakte Arbeit“, welche den Waren im Tausch zugewiesen wird. Während also fraglos zur Produktion jeder Ware ein bestimmtes Quantum konkreter Arbeit eingesetzt wird, kann im Tausch nur die Reduktion aller Waren auf ein vergleichbares Maß den Tausch ermöglichen. Im Tausch erfährt die Ware als Produkt eines konkreten Produktionsprozesses also eine Bewertung als Teil aller „konkreten Produktionsprozesse“ die in ihrer Summe den gesellschaftlichen Gesamt-Produktionsprozeß bilden (in Zeiten der „Globalisierung“ sogar den „Weltmarkt“). Sobald die Ware also unter Konkurrenzbedingungen in die Zirkulation geworfen wird, ist nicht mehr die konkrete Arbeit, welche in ihr vergegenständlicht wurde Maßstab des Wertes, sondern ihre über die Geldform ausgedrückte Einheit mit allen Waren. Die Wert-Substanz ist also nichts physisches, das einer einzelnen Ware zukommt, sondern ein gesellschaftliches Geltungs-Verhältnis, welches den Waren deshalb zukommt, weil ihre Produzenten vereinzelt sind erst über den Tausch ihre wechselseitige Verflechtung herstellen. Im Akt dieser Verflechtung stellen sie ihren Produktionszusammenhang als „real-abstrakten“ her, denn sie abstrahieren im Tausch von den (nicht-quantifizierbaren) konkreten Eigenschaften der Arbeitsprodukte und vollziehen damit durch ihre Handlungs-Struktur eine Real-Abstraktion. Folglich ist der Marxsche Wert-Begriff nicht „nominalistisch“ zu verstehen im Sinne Weberscher „Idealtypen“, sondern erkenntnistheoretisch ein Novum, das handlungstheoretisch einen Vorgang der „Real-Abstraktion“ beschreibt.
B.)Die Wert-Form
Wie bereits erwähnt besteht der Wert einer Ware nach Marx in der Menge „abstrakter Arbeit“, welche die Marktteilnehmer der Ware zuerkennen durch die Marktgesetze hindurch. Die Arbeit der Produzenten, welche die Ware hergestellt haben muß also auf dem Markt anerkannt werden bzw. „Geltung“ erlangen. Will die Ware keiner kaufen oder nur unter ihren Produktionskosten wurde zu viel produziert oder einfach an den Bedürfnissen vorbei. Eine jede Ware will also verkauft werden und zwar gegen – Geld. Nach Marx ist das Geld somit (und das ist auch der etymologische Ursprung des Wortes im Deutschen) jenes Medium, in dem die produktiven Verausgabungen Geltung erlangen. Weil die Gesellschaft ihre Arbeitskraft nicht geplant verteilt über eine vernünftige Absprache der Produzenten, sondern private Produzenten mikroökonomisch ausgerichtet voneinander getrennt produzieren, stellt sich die Frage nach dem Koordinationsmedium und dem Koordinationsmechanismus einer dergestalt organisierten Produktionsform. Weil nun private Produktion nur über den Tausch miteinander vermittelt werden kann, kommt jeder Ware neben ihrem Gebrauchswert (den sie als einzelnes, konkretes Ding in jeder Gesellschaft hat) auch ein Tauschwert zu. Waren sind nämlich „Gebrauchswerte für andere“, produziert von Produzenten für andere Produzenten oder für die Verbraucher. Um Gebrauchswert zu werden muß eine Ware also durch die Wert-Form hindurch und um durch die Wert-Form zu gehen muß sie einen Nutzen stiften für einen Käufer. Kurzum: Die Ware ist als konkreter Gebrauchswert ein Einzelding, während sie über die Wert-Form ein gesellschaftliches Ding ist. Über das Geld sind alle Produzenten miteinander verbunden, denn in ihrer Produktion sind sie als Privat-Unternehmer ja getrennt. Die Marxsche Wertform-Analyse stellt sich also dem entscheidenden Problem, wie private Produzenten, die in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander stehen, ihren Produktionszusammenhang herstellen können. Das Problem löst Marx, indem er in vier logischen Schritten von der einfachsten Tauschsituation („Einfache oder zufällige Wertform“) bis zur entwickelten Geldform die Herausbildung eines allgemeinen Äquivalentes untersucht. Die Marxsche Werttheorie ist folglich eine monetäre Werttheorie, insofern die Waren erst über die Wertform zu Waren werden, denn ohne die Wertform (an deren Ende die Geldform steht) hätten wir es gar nicht mit einer arbeitsteiligen Gesellschaft privater Produzenten zu tun. Wertform und gesellschaftliche Arbeitsteilung stehen also in einem logischen Verhältnis.
C.)Die Wert-Größe
Da die privaten Produzenten miteinander konkurrieren kann die im Einzelbetrieb verausgabte konkrete Arbeitszeit nicht Maßstab irgend eines Warenwertes sein. Wenn Betrieb A doppelt so lange braucht wie Betrieb B um ein grünes Tischtuch herzustellen kann er nicht doppelt so viel Geld verlangen (das geht nur bei bestimmten Luxus-Produkten, die unter die Kategorie von Monopol-Preisen fallen). Kein Mensch würde dann bei A einkaufen und A würde auf seiner Ware sitzen bleiben. Statt dessen wird durch die Konkurrenz der Wert grüner Tischtücher durch die Arbeitsproduktivität von Betrieb B bestimmt. Neben der Konkurrenz innerhalb eines Produktionszweiges bestimmt aber auch die Konkurrenz zwischen den Produktionszweigen die Wertgröße, denn wenn die Hersteller von Analogkameras nicht berücksichtigen, daß inzwischen eine gutes Teil der Nachfrage nach Photogeräten Nachfrage nach Digitalkameras ist, haben sie über dem gesellschaftlichen Bedürfnis produziert, somit mehr angeboten als nachgefragt wird zum Gleichgewichtspreis und müssen folglich ihre Preise senken (was ihre Rendite schrumpfen lässt). Drittens führt die Konkurrenz dazu, daß Kapital von Produktionssphären mit niedrigerer Rendite in Bereiche mit höheren Verwertungsmöglichkeiten fließt. Ein Produktivitätsvorsprung oder ein Innovationsvorsprung ist also in einem Wettbewerbssystem meist nicht dauerhaft, denn der Extraprofit der Innovation lockt die Konkurrenz. Deshalb geht Marx in dritten Band des „Kapital“ von einer einheitlichen Profitrate aus und nähert sich so dem neoklassischen Gleichgewichtspreis an. Nichtsdestotrotz bleibt sein Gleichgewichtspreis werttheoretisch fundiert und die Abweichungen einzelner Waren von ihren Werten sind der dritten Wirkung der Konkurrenz geschuldet, die bestehende Werte umverteilt und Extraprofite somit als Endpunkt der Bildung von Gleichgewichtspreisen nicht zulässt. Marx geht somit von „Ungleichgewichten“ bei der mikroökonomisch orientierten Produktion unabhängiger Produzenten aus, denn betriebswirtschaftlich können Extraprofite erwirtschaftet werden. Soweit der Markt dann aber die Unternehmen konkurrenzförmig vermittelt, verwandeln sich diese Extraprofite in Durchschnittsprofite und ein idealtypischer „Gleichgewichtspreis“ steht am Ende der Entwicklung.
D.)Die Zeit: Wert als Einheit von Produktion und Zirkulation
Wie bereits erwähnt ist die Marxsche Werttheorie eine Theorie sowohl der Produktion als auch der Zirkulation der Waren. Produziert wird im mikroökonomischen Raum durch private Produzenten, getauscht werden diese Produkte als Waren auf Märkten. In der Marxschen Welt gibt es also Unsicherheiten (das „Realisierungsproblem“: kann ich meine Ware verkaufen und mein Kapital dabei verwerten?), folglich Kausalitäten (erst wird produziert, dann das Produzierte verkauft) und das Geld ist hier nicht nur einfach wie in der Neoklassik ein „Schleier“ über „realen“ Tauschvorgängen, sondern zentrales Koordinationsmedium, ohne das eine arbeitsteilige Marktwirtschaft unmöglich funktionieren könnte.
2.Demgegenüber zeichnet sich die herrschende neoklassische Wirtschaftstheorie dadurch aus, daß sie Gebrauchwert und Tauschwert konfundiert und somit die Marktstruktur selber verfälscht wiedergibt. Das Problem der Vergesellschaftung privater Produktionsleistungen übergeht sie durch Rekurs auf das „Saysche Gesetz“, das allerdings bereits voraussetzt, was es eigentlich zu entwickeln hätte – nämlich die Übereinstimmung von monetärer und „realer“ Sphäre. Da aber die monetäre Sphäre auch eine Sphäre monetärer Investitionsströme ist (Marx redet hier von „Mehrwert heckendem Wert“), findet nicht nur potentiell das Geld als Schatzmittel Eingang in die Theorie, sondern auch als Kapital. Das Ungleichgewicht lauert also nicht nur hinter der Differenz von Sparen und Investieren, sondern auch hinter einer sinkenden Profitrate und Problemen in Bezug auf die Verwertung. Das hoffnungslos unterkomplexe und prämonetäre Modell von Say kann hier noch nicht mal die Problemstellung erkennen. Genau deshalb wird seine apologetische Kraft so geschätzt und ist es in der Realität so eine Lachnummer.
Zusammenfassend möchte ich aus meiner Sicht feststellen, daß die Marxsche Werttheorie ERSTENS eine erkenntnistheoretisch fundierte Theorie der marktförmigen Vermittlung privater Produzenten ist (erster Band des „Kapital“), ZWEITENS eine moderne Wachstumstheorie bereitstellt (zweiter Band des „Kapital“) und DRITTENS eine hohe krisentheoretische Relevanz hat (dritter Band des „Kapital“)
_________________ Man verdirbt einen Menschen am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten, als den Andersdenkenden. Friedrich Nietzsche
Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will. Hermann Hesse
Es gibt keinen größeren Fehler als haben wollen. Laotse
Zuletzt geändert von Azazin am 25.11.2005, 01:24, insgesamt 1-mal geändert.
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