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Was haltet ihr vom Kommunistischen Urgedanke?
Ist die Zukunft 33%  33%  [ 5 ]
Schwachsinn 60%  60%  [ 9 ]
Keine Ahnung / Keine Meinung 7%  7%  [ 1 ]
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BeitragVerfasst: 12.12.2004, 12:26 
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Azazin hat geschrieben:
damit behauptest du auch das die weimarer republik nie eine chance hatte (da es ja nicht ihre schuld ist das sie versagt hat)?
es geht hier auch nicht um den 2wk sondern um die machtübernahme hitlers in einem system was nach deinen angaben solche sachen "besser abfedern" kann....


Nein - die Weimarer Republik hatte keine Chance. Die Ressentiments, die vor allem durch den 1. WK den Menschen noch innewohnten, waren zu tief verankert.

Klar - aber für die Machtübernahme Hitlers ist nicht das Prinizip Demokratie zur Verantwortung zu ziehen.

PS: Abfederung heißt nicht, dass die Demokratie ihrem eigenen Konzept widersprechen kann.

Zitat:
Gegenfrage wieoft wurde es versucht den kommunismus in einem industrieland zu errichten? (so wie es marx forderte)
außerdem sind wegen geld & macht in der vergangenheit doch noch mehr millionen menschen gestorben.... (thema: habgier)


Als würden die Attribute wie Machtgeilheit und Habgier nicht auch das Scheitern in des Kommunismus determinieren - das ist ja gerade der Punkt.

Wie gesagt - Russland war eine Industrienation, wenn auch nicht in dem Ausmaße wie England oder Amerika. Zum hundersten Mal: Die Ursache des Scheiterns ist nicht hier zu suchen. Versuch dich nicht an diesen Strohhalm zu klammern.

Zitat:
sehr witzig du probierst mir deine meinung zu erläutern mit ein paar worten die etwas gebildet klingen aber du lieferst keine fakten ich habe mich schon genug mit dem asiatischen raum beschäftigt um manch anderen theoretikern zuzustimmen das china zwar wirtschaftlich stärker wird aber sein straffes regime aufrecht erhalten wird.... ich meine warum fordern viele politiker aus der usa china solange zu isolieren bis es in sich selbst zusammenbricht?


Wie ich bereits sagte: Immer schön genau lesen. Meine Antworten bezogen sich darauf, dass der Kommunismus nie existierte, weil er nicht existeren kann. Da fragtest du dann, auf welcher Tatsache beruhe dies etc. Sie bezogen sich niemals auf China!
Und ich denke nicht, dass ich jetzt aus jeder Disziplin heraus meine Bedenken gegenüber dem Kommunismus äußern muss, oder? :rolleyes:

Zu China: hehe, das eine hat nichts mit dem anderen zu tun: Ich sage ja nicht, dass China zusammenbricht, ich sage nur, dass die Staatsform mit ihren Repressionen etc. nichta fu Dauer so existent bleibt.
Die USA haben Angst, dass das Machtvakuum, das Russland hinterlassen hat, China füllen und einen Gegenpol zum Machtprimaten Amerikas errichten könnte. Durch ihre westliche Assimilation verlieren sie ja nicht ihre politische Eigenständigkeit (auch wenn die politische Kultur sich fundamental ändern wird) - davor fürchten sich die Staaten.

Zitat:
nein ist schon klar allerdings ist es kein argument welches deine these unterstützt in bezug auf china....


siehe oben - das bezog sich ja auch nie auf China, sondern auf den Kommunismus.

Zitat:
soll das ein scherz sein? wieso sollte die widerlegung nicht ökonomischer natur sein?


Schon wieder! Genauer lesen: "Ebenso ist die elementarste Widerlegung nicht ökonomischer, sondern existenzialistischer Natur" Ich sagte - "...die elementarste Widerlegung...."; mit anderen Worten, der Kommunismus kann von jeder Seite aus kritisiert werden, nur die fundamentalste Widerlegung erfährt er durch die Anthropologie - durch die Philosophie.


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BeitragVerfasst: 12.12.2004, 13:18 
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TamGui hat geschrieben:
Klar - aber für die Machtübernahme Hitlers ist nicht das Prinizip Demokratie zur Verantwortung zu ziehen.


wieso nicht? immerhin wurde seine partei in das parlament gewählt.. demokratie funktioniert nur wenn die menschen dahinter stehen und das problem ist sobald die lage schlecht wird greift man zu "alternativen"
z.b. das heutige deutschland wenn es in der zukunft schlecht aussieht also keine arbeit... kein geld... da ist ... was würde menschen davon abhalten radikale parteien (pds, dvu) zu wählen?

TamGui hat geschrieben:
Als würden die Attribute wie Machtgeilheit und Habgier nicht auch das Scheitern in des Kommunismus determinieren - das ist ja gerade der Punkt.

der kommunismus gabs doch in der form nie...(wie du ja selbst geschrieben hast)

TamGui hat geschrieben:
Wie gesagt - Russland war eine Industrienation.

wenn du meinst ... ich sehe das definitiv nicht so aufjedenfall kann man russland in der damaligen zeit schon als rückständig bezeichnen.....


TamGui hat geschrieben:
weil er nicht existeren kann.

du wiederholst dich... und ich habe schonmal geschrieben das ich dem so nicht zustimme



TamGui hat geschrieben:
dass die Staatsform mit ihren Repressionen etc. nichta fu Dauer so existent bleibt..

und wie soll sich die staatform in china entwickeln? immerhin regiert in china eine diktaktur und eine wirtschafliche stärkung dieser regierung durch ausländische firmen würde die staatsform keineswegs beinflußen.... im gegenteil es würde die regierung doch nur nochmehr stärken....
(wobei ich davon überzeugt bin das in china ein putsch die einzigste lösung ist um ihre brutale diktaktur abzuschaffen)

TamGui hat geschrieben:
"Ebenso ist die elementarste Widerlegung nicht ökonomischer, sondern existenzialistischer Natur" Ich sagte - "...die elementarste Widerlegung...."; mit anderen Worten, der Kommunismus kann von jeder Seite aus kritisiert werden, nur die fundamentalste Widerlegung erfährt er durch die Anthropologie - durch die Philosophie.


man kann alles von 2 seiten sehen knackpunkt: "philosophieren" es wird immer leute geben die ein pro & ein Kontra vertreten werden.... aber ein endgültiges ergebnis kann es nicht geben man kann nur zu mehreren erkentnissen kommen die natürlich nicht verbindlich sind..

_________________
Man verdirbt einen Menschen am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten, als den Andersdenkenden.
Friedrich Nietzsche

Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will.

Hermann Hesse

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BeitragVerfasst: 12.12.2004, 14:03 
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Azazin hat geschrieben:
wieso nicht? immerhin wurde seine partei in das parlament gewählt.. demokratie funktioniert nur wenn die menschen dahinter stehen und das problem ist sobald die lage schlecht wird greift man zu "alternativen"
z.b. das heutige deutschland wenn es in der zukunft schlecht aussieht also keine arbeit... kein geld... da ist ... was würde menschen davon abhalten radikale parteien (pds, dvu) zu wählen?


Klar, die Demokratie wurde als Mittel zum Zweck missbraucht. Daran ist aber nicht das Prinzip Demokratie schuld, sondern das Umfeld, in das sie eingesetzt wurde. Sie hat die passive Rolle gespielt, während der Kommunismus (als theoretische Idee), die aktive Rolle für die Folgen (auch wenn sie nicht dem Kommunismus als Idee glichen) spielte!
Sie funktionierte ja sogar die ersten Jahre recht gut, nur gab es Hass, Demütigung und unüberwundene Erlebnisse im Volk, die detereminiert waren, in einer Überwindung der Demokratie zu enden. (Ich will hier nichts rechtfertigen)

Damit wurde nicht das Fundament der Demokratie fragwürdig - das ist der Unterschied zu den Versuchen, den Kommunismus zu errichten (damit du nicht sagen musst "Das gleiche gilt doch auch für den Kommunismus"): Dieser wurde im anthropologischen Fundament als vollkomene Illusion entlarvt. Den Typus "Mensch", den dieser voraussetzt und ihn auch für das Endergebnis braucht, wird niemals existieren - die in uns allen wohnende Dialektik, die postuliert wurde, fehlt gänzlich; damit ist die Gleichheit des Kommunismus für immer untergraben. Die Dialektik, die dieser für eine friedliche klassenlose Gesellschaft benötigt, um eben nicht in einem totalitären Staat zu enden, diese einheitliche Entwicklung gibt es nicht und ohne diese bleibt das ganze Utopie!

Zitat:
der kommunismus gabs doch in der form nie...(wie du ja selbst geschrieben hast)


Eben weil die Vorassetzungen andere sind, als Marx sie in seinem Kopf sich erdachte - und ich rede jetzt hier nicht vom geographischen Startpunkt der Revolution-

Zitat:
wenn du meinst ... ich sehe das definitiv nicht so aufjedenfall kann man russland in der damaligen zeit schon als rückständig bezeichnen.....


Sagte ich ja - es war rückständig im vergleich zu England oder den Staaten; trotzdem war es eine Industrienation. Und nocheinmal: Das ist nicht die Crux des Scheiterns.

Zitat:
du wiederholst dich... und ich habe schonmal geschrieben das ich dem so nicht zustimme


Ich habe es wiederholt, um dir zu zeigen, dass du falsche Bezüge hergestellt hast; aber anscheinend hast du wieder nicht korrekt gelesen, sonst hättest du nicht nur so einen Satzfetzen zitiert.

Zitat:
und wie soll sich die staatform in china entwickeln? immerhin regiert in china eine diktaktur und eine wirtschafliche stärkung dieser regierung durch ausländische firmen würde die staatsform keineswegs beinflußen.... im gegenteil es würde die regierung doch nur nochmehr stärken....
(wobei ich davon überzeugt bin das in china ein putsch die einzigste lösung ist um ihre brutale diktaktur abzuschaffen)


Es ist ja nicht nur eine wirtschaftliche Integration - damit geht zwangsläufig auch eine kulturelle Revolution einher! Zum x-ten Mal: Guck dir Berichte züber die rasante Verwestlichung der Kultur der letzten Jahre an. Die Politik existiert nie isoliert und wird zwangsläufig davon affiziert werden. Ob es zu einem allämhlichen Aufweichen konservativer Machtstrukteren oder zu einer Revolution kommen wird, wird die Zeit zeigen. Aber dass das Land politisch einem großen Wandel unterliegen wird, davon bin ich absolut überzeugt.

Zitat:
man kann alles von 2 seiten sehen knackpunkt: "philosophieren" es wird immer leute geben die ein pro & ein Kontra vertreten werden.... aber ein endgültiges ergebnis kann es nicht geben man kann nur zu mehreren erkentnissen kommen die natürlich nicht verbindlich sind..


Bis zu den ersten "....." ist der Satz ziemlich merkwürdig. Was soll das eingebaute "philosophieren"?
Ich bin ja in vielen Punkten Skeptiker (auch mir selbst gegenüber), aber bei diesem verwahrlosten und ignoranten Menschenbild, das der Kommunismus gemalt hat, bin ich des ewigen Scheiterns absolut sicher.

Und eine solche absolute Relativierung ist das Ende jeder Diskussion; man kann schon Meinungen daraufhin kritisieren, inwieweit sie schlüssig, durchdacht, konsequent und vor allem sie begründet sind.


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BeitragVerfasst: 12.12.2004, 14:42 
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TamGui hat geschrieben:
Klar, die Demokratie wurde als Mittel zum Zweck missbraucht. Daran ist aber nicht das Prinzip Demokratie schuld

aber es zeigt das es anfällig und nicht perfekt ist.

TamGui hat geschrieben:
diese einheitliche Entwicklung gibt es nicht und ohne diese bleibt das ganze Utopie!


sowie der mensch heute denkt nicht... aber der mensch ist fähig dazu sich weiterzuentwickeln.... und da wir ja beide der meinung sind das unser jetziges system nicht ewig funktioniert muß irgendwann ein neues system her außerdem muß der mensch auch umdenken wie schon geschrieben es kann nich sein das wir in europa relativ gut leben während in afrika kinder den hungerstod sterben


TamGui hat geschrieben:
Ich habe es wiederholt, um dir zu zeigen, dass du falsche Bezüge hergestellt hast; aber anscheinend hast du wieder nicht korrekt gelesen, sonst hättest du nicht nur so einen Satzfetzen zitiert.


ich habe es "korrekt gelesen" nur weil die bezüge dir nicht klar sind (oder nicht verständlich sind) heißt es nicht gleich das sie falsch sind....


TamGui hat geschrieben:
Guck dir Berichte züber die rasante Verwestlichung der Kultur der letzten Jahre an. Die Politik existiert nie isoliert und wird zwangsläufig davon affiziert werden. Ob es zu einem allämhlichen Aufweichen konservativer Machtstrukteren oder zu einer Revolution kommen wird, wird die Zeit zeigen.


Sehe ich auch so... es gibt aber extrem viele faktoren die dazu führen könnten das sich china wieder isolieren läßt...

TamGui hat geschrieben:
Ich bin ja in vielen Punkten Skeptiker (auch mir selbst gegenüber), aber bei diesem verwahrlosten und ignoranten Menschenbild, das der Kommunismus gemalt hat, bin ich des ewigen Scheiterns absolut sicher.


ignoranten bild?

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BeitragVerfasst: 12.12.2004, 15:10 
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Azazin hat geschrieben:
aber es zeigt das es anfällig und nicht perfekt ist.


Habe ich auch nie behauptet - für mich ist es nur die vernünftigste zZ entwickelte Staatsform.

Zitat:
sowie der mensch heute denkt nicht... aber der mensch ist fähig dazu sich weiterzuentwickeln.... und da wir ja beide der meinung sind das unser jetziges system nicht ewig funktioniert muß irgendwann ein neues system her außerdem muß der mensch auch umdenken wie schon geschrieben es kann nich sein das wir in europa relativ gut leben während in afrika kinder den hungerstod sterben


Der Mensch wird aber niemals in der Lage sein, sein Menschsein zu überwinden. Er hat in diesem eine fast unendliche Möglichkeit sich zu entwickeln, aber immer nur auf dem Fundament seines Seins (nicht philosophisch-ontologisch gesehen). Aber gerade diese Überwindung der eigenen Existenzart bedarf es für den Kommunismus.

Zitat:
ich habe es "korrekt gelesen" nur weil die bezüge dir nicht klar sind (oder nicht verständlich sind) heißt es nicht gleich das sie falsch sind....


Mich würde mal interessieren, wie du diese Bezüge wieder richtig biegen willst. :notsure:

Zitat:
Sehe ich auch so... es gibt aber extrem viele faktoren die dazu führen könnten das sich china wieder isolieren läßt...


zZ deutet aber nichts auf eine solche Entwicklung, auch wenn sie natürlich unter bestimmten Konstellationen eintreten könnte.

Zitat:
ignoranten bild?


Ist das eine Frage zum Inhalt?
Wenn ja, siehe meine Kritik am Menschenbild Seite 4 in dem Beitrag ohne Zitate.[/b]


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BeitragVerfasst: 12.12.2004, 15:53 
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TamGui hat geschrieben:
Der Mensch wird aber niemals in der Lage sein, sein Menschsein zu überwinden. Er hat in diesem eine fast unendliche Möglichkeit sich zu entwickeln, aber immer nur auf dem Fundament seines Seins (nicht philosophisch-ontologisch gesehen). Aber gerade diese Überwindung der eigenen Existenzart bedarf es für den Kommunismus.


Das problem an der dialektik (kunst der unterredung) ist das er manchmal zum streit ausartet und daraus kann jemand verletzt werden (ob durch worte oder körperlich)... die geschichte zeigt ja wie weit menschen gehen um ihren standtpunkt zu vertreten...

die menschheit hat in den letzten hundert jahren eher zu viel als zu wenig unüberlegt verändert....


was mich noch intressieren würde währe: hältst du eine geldlose gesellschaft (egal unter welcher staatsform) für realistisch und überlebensfähig?

meiner meinung nach währe eine geldlose gesellschaft ähnlich wie der Kommunismus, sie setzt eine Bewußtseinsbildung voraus die man den jetzigen Konsumbürgern auf keinen Fall zutrauen kann aber in der zukunft?

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BeitragVerfasst: 12.12.2004, 19:44 
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TamGui hat geschrieben:

Es ist ja nicht nur eine wirtschaftliche Integration - damit geht zwangsläufig auch eine kulturelle Revolution einher! Zum x-ten Mal: Guck dir Berichte züber die rasante Verwestlichung der Kultur der letzten Jahre an.


Man denke nur an die Ausbreitung von Mc Donalds, Pizza Hut & Co.
In der neusten Ausgabe des Spiegels steht,
dass die Chinesen uns den Käse wegfressen
und das obwohl sie sich eigentlich vor Käse
(in ihren Augen schlechtgewordene Milch) ekeln.

Auf Pizzen & Burger scheint es ihnen aber zu schmecken.

Soviel zur kulturellen Revolution :D

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BeitragVerfasst: 25.11.2005, 01:12 
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Im Folgenden möchte ich diejenigen Punkte aus dem Marxschen Werk herausgreifen, die ich für falsch sowie methodisch fragwürdig bzw. ungeklärt halte. Ich formuliere erst meine Grundthese, die ich dann kurz erläutere. Aus meiner Sicht sind alle diese Punkte prinzipiell innerhalb des marxistischen Denkens lösbar bzw. schon gelöst worden. Es geht hier nur darum, wo aus meiner Sicht bei Marx Mängel zu bestanden sind.
Um den Umfang dieses Textes gering zu halten verzichte ich auf langatmige Zitate und Textinterpretation (die ich bei Bedarf im Einzelfall nachliefern kann) und komme gleich zum Kern.

1.)Die Marxsche Ableitung der Werttheorie zu Beginn des "Kapital" ist mangelhaft.
Marx leitet zu Beginn des "Kapital" die Arbeit als die allen Waren gemeinsame "Wertsubstanz" ab, indem er fragt, was denn als gemeinsame Qualität der Waren (= Arbeitsprodukte) übrig bleibt, wenn von ihrem Gebrauchswert (der ja nicht ihren Tauschwert begründen kann) abgesehen wird. Für Marx ist das nur noch die Tatsache, daß sie Produkte von "Arbeit schlechthin" sind. Somit ist für Marx das "gemeinsame Dritte", welches zwei vom Gebrauchswert her unvergleichbare Waren vergleichbar macht, gefunden in der "Arbeit schlechthin" bzw. "abstrakten Arbeit". Es ist ganz offensichtlich, daß diese Beweisführung inakzeptabel ist und Marx z.B. von dem Neoklassiker Böhm-Bawerk um die Ohren gehauen wurde. Die tatsächliche und rationale Begründung der Werttheorie liegt in ihrem Ansatz, das Geld als soziale Form und damit den Tausch als Modus der Vergesellschaftung produktiver Leistungen zu erklären.

2.)Marxens Revolutionstheorie ist mangelhaft.
Marx war in der Tat der Meinung, dass sich im Kapitalismus eine immer offensichtlichere und für die Menschen durchschaubarere Verelendung einstellen würde, an deren Ende die Revolution durch das Proletariat steht. Das Problem hierbei ist, dass der Kapitalismus erstens Teile der Arbeiterschaft durchaus gut bezahlt und somit die Arbeiterklasse spaltet. Zweitens bewirkt die Abhängigkeit der Arbeiterklasse vom Kapital eher „Lohnzurückhaltung“ als revolutionäre Tendenzen. Kapital und Arbeit sind nämlich sowohl Widersprüche als auch wechselseitig sich voraussetzende Bestimmungen (was Marx viel zu wenig bedacht hat). Drittens liefert das Kapital über seine ideologischen Apparaturen beständig Ersatzbefriedigungen (psychoanalytisch z.B. „repressive Entsublimierung“ genannt) und bindet die unterdrückten Arbeiter hiermit an das System. Der Protestantismus war bereits die erste Ideologie, welche das Individuum in seiner innersten Subjektivität auf die Anforderungen der bürgerlichen Welt ausrichten wollte. Mit der technologischen Macht der Naturbeherrschung stieg auch beständig die Macht, das Denken und den menschlichen Körper (sh. dazu Michel Foucault) zu kontrollieren und den Imperativen der Apparatur anzupassen und einzuverleiben. Das "Proletariat" ist insofern keine einfache negative Kategorie, keine "Gegenmacht" mehr, sondern ein weitgehend an das System angepaßtes Funktionsglied. Statt sich also einseitig auf das sehr heterogene „Proletariat“ zu fixieren sollte eine moderne kritische Gesellschaftstheorie vielmehr die Unvereinbarkeit der kapitalistischen Produktionsweise mit jedweder Vernunft und Humanität aufzeigen und auch den kapitalistischen Arbeiter als zu überwindendes, verkrüppeltes Wesen verstehen. Vom arbeitermarxistischen „Standpunkt der Arbeit“ (der im Prinzip das Proletariat nicht aufhebt, sondern die bürgerliche Kategorie der „Arbeit“ universalisiert) sollte zum Standpunkt menschlicher Vernunft und Solidarität übergegangen werden. Bei Hardt und Negri ("Empire" und va. "Multitude") sowie John Holloway ("Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen") werden solche Fragen auf der Höhe der Zeit formuliert und besprochen.

3.)Marx hat den Kapitalismus maßlos unterschätzt.
Trotz einiger widersprüchlicher Aussagen in seinem Werk hat Marx letztlich gut Hegelianisch gedacht, daß der Kapitalismus nach der Erschöpfung seiner produktiven Ressourcen bereits zu seiner Lebenszeit (oder bald danach) zugrunde gehen müßte. Weil Marx zu sehr von seinem "reinen Modell" ausging (der Staat z.B. kommt im "Kapital" praktisch nicht vor wie auch der moderne Weltmarkt) war ihm nicht klar, daß der Kapitalismus selbst innerhalb seiner Widersprüche sich beständig neu konfiguriert, "schöpferisch zerstört" (im Sinne Schumpeters) und so auch neu erfindet und überlebt. Der Kapitalismus geht an Krisen nicht einfach zugrunde, sie sind vielmehr ein normales Element seiner Funktionsweise. Auch die heutige Weltwirtschaft hat ja über den Dollar und das US-Handelsdefizit ein ungemein leistungsfähiges Akkumulationsregime etabliert, das trotz fallender Netto-Profitraten über das Kredit- und Währungssystem den Mechanismus am Laufen hält. Ein Zusammenbruch des Kapitalismus ist also denkbar, aber weder notwendig noch zeitlich vorhersehbar. Man kann höchstens mit vagen Wahrscheinlichkeiten arbeiten.

4.)Die Geschichte ist weit mehr als nur "Geschichte von Klassenkämpfen".
Marxens Aussage im "Manifest", daß "alle Geschichte" immer "eine Geschichte von Klassenkämpfen" war ist so trivial wie nichtssagend. Dieser Satz ist ferner dummerweise auch so interpretiert worden, daß "Klassenkämpfe" ein Bewegungsprinzip aller bisherigen Geschichte wären. In dieser Version ist diese Aussage noch abstruser, denn so wird suggeriert, daß "Klassen" nur gegeneinander arbeiten und kämpfen und nicht kooperieren. Genau dies war aber z.B. im Mittelalter der Fall, wo der Fürst Schutzaufgaben gegenüber dem Leibeigenen hatte. Kurzum: Bei derart allgemeinen Aussagen wie dem Bezug auf "alle Geschichte" kann nichts sinnvolles herauskommen als eine unfruchtbare Über-Vereinfachung.

5.)Marx war ein naiver Fortschrittsoptimist.
Dies zeigt sich z.B. daran, daß Marx ernsthaft glaubte, daß die kapitalistischen Produktivkräfte umstandslos in den Sozialismus übernommen werden könnten. Mit der Aufhebung des Privateigentums würde die Technologie plötzlich einen ganz anderen Charakter bekommen. Hier wird folglich die ganze Problematik übersehen, daß eine von Marx so treffend beschriebene vernunftlose und eindimensionale Produktionsweise auch Produktivkräfte entwickelt, die nicht mit einer humanen und ökologisch vernünftigen Wirtschaftsordnung kompatibel sind. Angesichts der Klimaveränderung, der Energiekrise und der Gefahren z.B. der Gentechnologie kann gesellschaftliche Emanzipation nur als Emanzipation von diesen kapitalistischen Destruktivkräften gedacht werden.

6.)Der Marxsche Materialismus ist verkürzt.
Die Gundaussage des Marxschen HistoMat, daß die Welt des Menschen (arbeitsförmiges) Produkt des Menschen ist und daß die Produktionstätigkeit selbst Voraussetzung zur Herausbildung kognitiver Erkenntnisfähigkeiten ist, halte ich zwar zunächst für richtig und unbestreitbar. Die Verkürzung im Marxschen Modell liegt aber schlichtweg darin, daß er hier zuvorderst die Beziehung Mensch-Natur (in einem instrumentellen Sinne) denkt und kommunikative Prozesse zwischen den Produzenten erst im Anschluß daran bzw. in Abhängigkeit davon denkt. Es ist aber klar, daß der Mensch nur gesellschaftlich produzieren kann, wenn er Sprache einsetzt und somit einen begrifflich-symbolischen Bezug zu seinesgleichen und der äußeren Welt aufbaut. Von "Basis" oder "Überbau" in diesem Zusammenhang zu reden wäre unsinnig, denn die materielle "Basis" ist schlichtweg nicht denkbar ohne kommunikative Prozesse. Gegenständliche Tätigkeit und Sprache müssen also zusammen und nicht in dem Sinne gedacht werde, daß das eine "ursprünglicher" wäre als das andere. Der HistoMat muß also sprachkritisch erweitert werden, wenn er auf der Höhe der Zeit sein will.
Diese Frage wird auch besprochen und beantwortet bei:
Helmut Thielen: Diskurs und Widerstand, 1995.
Christoph Demmerling: Sprache und Verdinglichung : Wittgenstein, Adorno und das Projekt einer kritischen Theorie, 1994.
Sh. zum HistoMat auch mein Thread:

7.Marx hat keine Ethik entwickelt
Eine berühmte Stelle im Marxschen Frühwerk zeigt uns die tiefe ethische Problematik, die im Marxschen Werk steckt: „Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" ( Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie ). Genauere Auskünfte darüber, wie denn sein "kategorischer Imperativ" konkret mit Leben (also "praktischer Vernunft") erfüllt werden kann gibt uns Marx aber nicht. Ein normativer Maßstab für seine Gesellschaftskritik existiert zwar insofern Marx gesellschaftliche Verhältnisse von Entfremdung und Ausbeutung befreien und dergestalt transparent machen möchte. Erst mit der modernen Diskursethik ist aber m.E. ein tatsächlich rationaler Maßstab formuliert worden, der auch auf die Situation einer idealen kommunistischen Gesellschaft anwendbar ist. Mit autoritären und zentralistischen Parteien oder einer "Avantgarde"-Theorie à la Lenin ist dieses Emanzipationsmodell freilich nicht vermittelbar.
Zur Diskursethik sh. meine Threads:

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BeitragVerfasst: 25.11.2005, 01:14 
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Meine sehr geehrten Damen und Herren,

1.Meine Erörterung der Marxschen Machtsoziologie möchte ich beginnen mit einem kurzen Ausblick auf die Geschichte des Marxschen Werkes und seine Rezeption. Karl Marx wurde 1818 geboren und hat bis zu seinem Tode 1883 beständig an seinem theoretischen Werk gearbeitet. Der weitaus größte Teil des Marxschen Werkes sind posthum veröffentlichte Manuskripte. Das Marxsche „Kapital“ beispielsweise besteht aus dem von Marx selbst veröffentlichten ersten Band sowie den von Friedrich Engels 1885 und 1894 herausgegeben Bänden I und II, die aus Marxens hinterlassenen Manuskripten zusammengestellt wurden. Die von Karl Kautsky editierten drei Bücher der „Theorien über den Mehrwert“, in denen Marx eine dogmenhistorische Analyse des ökonomischen Denkens bis zu seiner damaligen Gegenwart erarbeitete, wurden oft als vierter Band des „Kapital“ angesehen und sie fügen sich mit dieser Einordnung auch in Marxens eigenen Werksplan ein (Sh. Ernest Mandel (1991), S. 28 ff.).
Äußerst wichtig für die moderne Marx-Forschung sind auch die erstmals 1932 veröffentlichten „Ökonomisch-philosophischen Manuskripte“ – geschrieben von Marx Anfang 1844 -, in denen Marx seine historisch-materialistische Grundposition in einer großartigen Sprache entwickelt und in denen zugleich sein humanistisch-aufklärerischer Impuls in reinster Form vorliegt. Ebenfalls sehr wichtig ist der von Marx in den Jahren 1857/1858 angefertigte „Rohentwurf“ des Kapitals, in dem Marx zum Zwecke der Selbstverständigung eine erste Form seines gesamten theoretischen Konzeptes vorlegte. Unter dem Titel „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“ wurde dieses Manuskript erstmals 1939 in der Sowjetunion und dann 1953 auf Deutsch veröffentlicht. Dieser Text ist von unschätzbarem Wert, weil er zeitlich in etwa zwischen seinem Frühwerk und seinen Spätschriften liegt und somit eine Brücke schlägt zwischen beiden. Ferner hat Marx hier einen ersten großen Entwurf seines gesamten Programms einer dialektischen Kritik der Politischen Ökonomie zum Selbstverständnis nieder geschrieben. Spätere „Popularisierungen“ sind hier noch nicht anzutreffen. Die Verbindung der „Grundrisse“ mit den Frühschriften wird auch inhaltlich bestätigt, denn die „Grundrisse“ sind einerseits noch sehr Hegelianisch in ihren Begriffen und doch bereits thematisch ganz eng an der Thematik des späteren „Kapital“ orientiert. Leider ist dieses Manuskript nicht komplett erhalten geblieben und somit verfügen wir nur über Ausschnitte der Marxschen Gesamtschau, besonders schmerzlich sind verloren gegangene Teile zur Werttheorie. Ich möchte somit angesichts der Marxschen Werksgeschichte resümieren, daß wir es beim Marxschen Werk mit einer groß angelegten kreativen Werkstatt zu tun haben, und nicht mit einem abgeschlossenen, kanonisierbaren Theorem, das in „leicht konsumierbarer Form“ vor uns liegt. Unser eigenes, kritisches Denken wird von Marx stets vorausgesetzt und angesprochen.
2.Historisch wurde Marx leider schnell zum Opfer seiner Schüler. Bereits Karl Kautskies lange Zeit als „mustergültig“ betrachtete vereinfachte Zusammenfassung des ersten Bandes des „Kapital“ – seine Schrift „Karl Marx’ ökonomische Lehren“ von 1887, welche weder den zweiten, noch den dritten Band des „Kapital“ berücksichtigt – stellt eine grobe Vereinfachung und Reduzierung des Marxschen Gedankengangs dar. Aus der politisch motivierten Absicht, eine „populäre Darstellung“ des „Kapital“ zu liefern wurde der Startschuß für eine Verflachung und Vulgarisierung des Marxschen Werkes. Marx wurde im Gefolge dieser Interpretation um seine dialektische Methode verkürzt und wesentliche Teile (wie z.B. die Wertformanalyse) einfach ignoriert. Mit dem Sieg der Russischen Revolution 1917 begann dann auch die Ausschlachtung Marxens zum Zwecke staatskommunistischer Selbstlegitimation. Nicht umsonst wurden unter Stalin die Marxschen Frühschriften als „idealistische Verirrungen“ abgetan, obwohl sie doch im Gegenteil die materialistische Methode zentral herausarbeiten. Eine kritische Aneignung des „unverstandenen“ und „ausgegrenzten“ Marx erfolgte dann in den zwanziger Jahren z.B. durch Georg Lukacs, Karl Korsch, Isaak Rubin (der dafür in der Sowjetunion mit dem Leben bezahlte) und die Frankfurter Schule. Nach dem Krieg haben dann u.a. Sartre, Marcuse, Bloch, Sohn-Rethel und Krahl die verdrängten Fragen erneut aufgeworfen und eine neue Marxlektüre angeregt und begonnen, die bis heute anhält. In Deutschland haben besonders Hans-Georg Backhaus (Uni Frankfurt) und Helmut Reichelt (Uni Bremen), beide Schüler von Adorno, wichtige Interpretationen zur Marxschen Theorie vorgelegt (Sh. Hans-Georg Backhaus (1997) und Helmut Reichelt (2001)). Die „Marx-Gesellschaft“ mit ihren halbjährlichen Tagungen ist ein Produkt dieser Forschungsanstrengungen. In den USA hat die „International Working Group on Value Theory“ seit etwa 10 Jahren ein umfassendes Programm zur Rekonstruktion der Marxschen Ökonomiekritik vorgelegt, das die Aktualität der Marxschen Fragestellungen eindeutig belegt.
3.Lassen sie uns in unsere Untersuchung der Marxschen Machtsoziologie mit einem Zitat des jungen Marx einsteigen. Marx macht in den „ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ von 1844 eine höchst interessante Bemerkung im Zusammenhang mit dem Phänomen der „Entfremdung“ und dem der „Macht“:
„Die Entfremdung erscheint sowohl darin, daß mein Lebensmittel eines andern ist, daß das, was mein Wunsch, der unzugängliche Besitz eines andern ist, als daß jede Sache selbst ein andres als sie selbst, als daß meine Tätigkeit ein andres, als endlich – und das gilt auch für den Kapitalisten – daß überhaupt die unmenschliche Macht herrscht“ . (MEW Ergänzungsband I, S. 554.)
Bemerkenswert finde ich an dieser Stelle dreierlei:
Zunächst die Verbindung der allgemeinen „Entfremdung“ des modernen Menschen mit der Herrschaft einer „unmenschlichen Macht“.
Zweitens die Tatsache, dass auch der „Kapitalist“ als Besitzer der Produktionsmittel von dieser Macht beherrscht wird.
Und drittens fällt die allgemeine „Verkehrung“ der menschlichen Welt unter der Herrschaft des Privateigentums auf, so dass „jede Sache selbst ein andres als sie selbst ist“, wie Marx sagt.
Um ihnen diese Stelle näher zu bringen möchte ich zunächst den Marxschen Begriff der „Entfremdung“ genauer betrachten. Als eine für unsere Zwecke nützliche Definition schlage ich nun vor, analog zur Marxinterpretation, die Erich Fromm 1961 in seinem Klassiker „Das Menschenbild bei Marx“ vorlegte (Erich Fromm (1975), S. 49 ff.), das Phänomen der Entfremdung zu verstehen als eine Entsprechung dessen, was in alttestamen-tarischen Zusammenhängen als „Götzendienst“ bezeichnet wird. Als Essenz dieser Interpretation sollten wir die Vorstellung festhalten, dass der Mensch im Götzen eigene Wesenskräfte vergegenständlicht, also ein Ding geschaffen hat, dem er nun eigene, von ihm unabhängige Wesenskräfte zuschreibt, und dem er sich in der Folge unterwirft. Vom Schöpfer des Gegenstandes wird der Mensch zum Unterworfenen, und er erfährt sich selbst auch nicht mehr als Herr über das Ding, sondern umgekehrt wird das Produkt seiner Tätigkeit zum Herren über ihn. Das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpften stellt sich so auf den Kopf – und der Mensch wird zu einem entfremdeten „Götzendiener“. Dabei steht für unser aufgeklärtes, modernes Denken außer Frage, das der Götze ein Produkt des Menschen ist und nicht umgekehrt. Und dennoch verweist uns der Marxsche Begriff der „Entfremdung“ weit über seine allgemeine kulturpessimistische Deutung hinaus auf eine kritische Theorie der modernen Gesellschaft.
Anhand eines ausgewählten Marx-Zitates möchte ich kurz die große Plausibilität dieser Interpretation des „Entfremdungs“-Begriffs belegen. So schreibt Marx ebenfalls im „Kapital“ ganz in der Sprache seiner frühen Schriften:
„Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eigenen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eigenen Hand beherrscht“ (MEW 23, S. 649).
Das eigene gesellschaftliche Handeln tritt dem Menschen hier in einer entfremdeten Art und Weise entgegen und „beherrscht“ ihn.
Wie ist nun aber diese „verkehrte Welt“ zu verstehen und welche gesellschaftlichen Mechanismen konstituieren diese Art „verkehrter“ Gesellschaftlichkeit, bei welcher der Mensch ohnmächtig ist gegenüber seinem eigenen „Machwerk“?
4.Wenden wir uns zur Beantwortung dieser Frage nun an das Marxsche „Kapital“ als sein reifes Werk und bedenken das berühmte Kapitel zum „Fetischcharakter der Ware“. Ein „Fetisch“ ist zunächst in der Ethnologie ein Gegenstand, dem Naturvölker „Zauberkräfte“ zuschreiben. Für Hegel ist ein Fetisch Ausdruck undurchschauter Naturverhältnisse .
Dieses Kapitel befindet sich im Anschluß an das Kapitel „Die Wertform und der Tauschwert“. In dem Kapitel zur Wertform behandelt Marx bekanntlich eine Problematik, welche von der gesamten nationalökonomischen Literatur vor und nach ihm ignoriert wird, nämlich die Frage nach der „Genesis der Geldform“, also die Frage, „warum dieser Inhalt [die Arbeit, d.A.] jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in ihrer Wertgröße des Arbeitsproduktes darstellt(...) Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Ökonomie, daß es ihr nie gelang, aus der Analyse der Ware und spezieller des Warenwertes die Form des Wertes (!), die ihn eben zum Tauschwert macht, herauszufinden“ (MEW 23, S. 94). Die klassische, vormarxsche Politische Ökonomie hat bekanntlich den Warenwert und folglich auch den Gleichgewichtspreis der Ware bestimmt durch die „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“, welche unter Konkurrenzbedingungen zur Herstellung einer Ware erforderlich ist. Besonders David Ricardo hat diesen Ansatz in seinen „Principles“ vertreten. Die Arbeitswerttheorie tritt hierbei auf als eine Theorie der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung mittels Arbeit, welche nicht nur erklärt, wie es zu bestimmten Preisen kommt, „sondern auch, woher die wirtschaftliche Kaufkraft stammt, aus der die Preise bezahlt werden“ (Werner Hofmann (1971), S. 115).
Marx übernimmt nun prinzipiell diesen Ansatz, klärt aber grundlegend über den Begründungs-Zusammenhang der Arbeitswerttheorie auf, denn er fragt danach, wie und warum „Arbeit“ den Warenwert festlegt.
In seiner Fragestellung zur Genesis der ökonomischen Kategorien erweist sich Marx als kantianisch fragender Politökonom (dies ist auch der Ansatz von H.D. Kittsteiner (2004), S. 58 f.). So wie Kant nach den Bedingungen der Möglichkeit unserer Erkenntnis fragt, fragt Marx nach den Bedingungen der Möglichkeit warenproduzierender Gesellschaftssysteme. Er setzt „Geld“ und „Kapital“ nicht einfach voraus, sondern sucht nach einer formgenetischen Begründung dieser Kategorien. Anders gefragt: Wie sind die sozialen Formen der Kapitalismus möglich und warum sind sie notwendig für das Funktionieren seiner sozialen Struktur? Wie kommen wir dazu, einem physischen, sinnlichen Produkt die Preisform zu geben?
Die Marxsche Antwort fällt – in kürzester Form komprimiert – bekanntlich so aus:
In einer Gesellschaft wechselseitig miteinander tauschender Individuen muß das individuelle Produkt eine gesellschaftliche Form annehmen, damit es als Ware existieren kann, also als Produkt „für andere“. Produziert wird in der modernen, kapitalistischen Gesellschaft nicht für den eigenen Verbrauch, sondern für den Bedarf anderer. Die gesellschaftliche Arbeit ist „geteilt“ in viele unabhängige Produzenten, die füreinander arbeiten und dabei voneinander abhängig sind. Die Gesellschaft ist somit wie eine gesamte Großfabrik, welche die verschiedenen Arbeitsleistungen nicht durch einen Plan oder eine „Werksleitung“ koordiniert, sondern über den Markt. Hinter den getauschten Waren stehen die Hersteller der Waren, die selber Waren beziehen um herstellen zu können und die andere Produzenten oder Konsumenten beliefern. Mit seinen Gedankengängen vor allem im zweiten Band des „Kapital“ hat Marx wesentliche Ideen der späteren „Input-Output-Economics“ Leontiefs vorweggenommen.
Der allgemeine Warentausch wird bei Marx verstanden als Modus, in dem individuelle, also physische Arbeitsprodukte, über die Wertform eine gesellschaftliche Seite („Existenzform“) zugewiesen bekommen . Mit dem Marxschen „Wert“-Begriff wird somit die gesellschaftliche Seite rein physischer Arbeitsprodukte reflektiert. Durch den Tausch stellen die arbeitsteilig getrennten Individuen also einen gesellschaftlichen Zusammenhang bzw. eine gesellschaftliche Gesamt-Arbeitskraft her (welche ja im „Bruttosozialprodukt“ in Geldform gemessen wird), sie beziehen im Tausch ihre individuell verausgabten produktiven Leistungen aufeinander („Endlich, sobald die Menschen in irgend einer Weise füreinander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form“ (MEW 23, S. 86)). Die zu Beginn des Marxschen „Kapital“ untersuchte Aufspaltung der Ware in einen Gebrauchswert und einen Tauschwert, in eine physisch-konkrete Seite und eine abstrakt-allgemeine (den Preis in Geldform), wird bei Marx soziologisch bezogen auf die Art und Weise, wie die Individuen als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeitskraft auftreten. Als Produzenten konkreter Gebrauchswerte sind sie (noch) vereinzelt, atomisiert in ihren mikroökonomischen Einheiten und das Produkt ist hier noch keine Ware. Sobald sie aber tauschen verwandeln sich ihre Produkte in Waren (in „Produkte für andere“) und die mikroökonomisch geleistete Arbeit wird in gesellschaftliche Arbeit überführt. Die Wertform ist Ausdruck dieser gesellschaftlichen Dimension, ihr notwendiges Medium ist das Geld.
Die Produzenten stellen physische Produkte her, die aber vía Wertform in abstrakte, gesellschaftliche Produkte verwandelt werden, die nur noch quantitative Anteile der selben gesellschaftlichen Arbeit sind. Die physischen Unterschiede sind nun erloschen.
Diese formtheoretische Begründung der von den Klassikern Adam Smith und vor allem David Ricardo entwickelten modernen Arbeitswerttheorie gilt es für den weiteren Gang unserer Untersuchung festzuhalten.
5.Der „Fetischcharakter der Ware“ entspringt nun, wie Marx sagt, der Tatsache, dass die Ware „den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere ihrer Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen“ .
Hinter der Aufspaltung der Ware in ihren Gebrauchswert und ihren monetär bewerteten und im Geld handgreiflich gewordenen Tauschwert, also hinter der Existenz dieser zwei „Dinge“ bzw. „Verhältnisse“, steht die gesellschaftliche Organisationsform der Individuen. Da die Individuen diese beiden Formen (physische und gesellschaftliche Seite des Arbeitsproduktes) bereits fertig vorfinden als äußere Tatsachen, erscheinen ihnen diese Formen als „Natureigenschaften der Dinge“. Diese Verkehrung von Schöpfer und Schöpfung im Bewusstsein umschreibt Marx auch so:
„Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten [dies würde ja eine bewusste Anwendung der Wertform implizieren!, d.A.]. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es [unbewusst, durch ihr Handeln, d.A.]“ .
Das heißt, die Menschen nehmen als Marktsubjekte immer bereits soziale Verkehrsformen in Anspruch, deren Ursprung durch ihre ureigenste Praxis ihnen vollkommen unbewusst ist. Daß sie durch ihre Tat, ihr Handeln als private, über den Tausch verbundene Produzenten den gesellschaftlichen Charakter ihrer Arbeitsprodukte erst herstellen, ist ihnen nicht bewusst. Hinter den dinglichen Formen von Ware und Geld verschwindet der konstituierende Prozeß durch die historisch gewachsenen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse.

6. Um die ganze Tragweite der Marxschen Konzeption anschaulich zu machen möchte ich die Zuspitzung des Warenfetischs zum Kapitalfetisch kurz anreißen. Marx unterscheidet nämlich im ersten Band des „Kapital“ zwischen zwei Zirkulationsformen der Ware:
Erstens der „einfachen Zirkulation“ Ware – Geld – Ware , in welcher das Geld noch als Vermittler zwischen zwei Gebrauchswerten auftritt, also der Endzweck der Produktion noch nicht im Profitmotiv liegt, sondern im Tausch zum Zwecke des Konsums.
Zweitens der „kapitalistischen Warenzirkulation“, Geld – Ware – Geld’ , in welcher das Profitmotiv dominiert und die Ware nur ein Mittel ist zum Zwecke der Verwertung der Investitionssumme G.
Im zweiten Band des „Kapital“ erweitert Marx nun diese zweite Zirkulationsformel zur generellen Formel des Kapitalkreislaufes. Die Formel lautet:

G – W (Ak+Pm) …P…W’ – G’

Ak steht für “Arbeitskraft“, Pm für “Produktionsmittel” und P für „Produktion“ .
Wie wir sehen handelt es sich bei dieser komplexeren Formel um den Versuch, den gesamten Kreislauf des Kapitals in allgemeinster Form zu umschreiben:
Geld wird investiert in Produktionsmittel und Arbeitskraft („Löhne“), im Zentrum werden beide kombiniert im Produktionsprozeß und das Ergebnis ist eine Ware W’, welche durch ihren Verkauf die Geldsumme G’ als profitablen Erlös einbringt. Ob wie nun einen Frisiersalon, eine Chipfabrik oder einen landwirtschaftlichen Betrieb vor uns haben – jedes dieser Unternehmen produziert im Rahmen dieser Kreislaufformel die unterschiedlichsten Waren. Eine Erweiterung dieses Schemas wäre ferner möglich, wenn wir Kreditbeziehungen berücksichtigen; dann spaltet sich die Investitionssumme auf in den Eigenkapitalanteil und das Fremdkapital und entsprechend wird der Gewinn am Ende der Bewegung ebenfalls aufgeteilt in die Bedienung der Kreditzinsen und den betrieblichen Nettogewinn.
Mit der Zirkulationsformel des Kapitals hat Marx nun ein allgemeines Wachstumsmodell entwickelt, welches anschaulich macht, wie Mittel und Zweck in einer kapitalistischen Ökonomie verkehrt sind:
Endzweck der ganzen Bewegung ist das auf sich selber rückgekoppelte Geld, welches sich über die produktive Vernutzung von lebendiger und vergegenständlichter Arbeit, also Lohnarbeit und Produktionsmitteln, speist. Die bereits erwähnte „Wertform“-Analyse ist hier das Zentrum der kritischen Rekonstruktion der Geldform über die Analyse der Tauschstruktur der privaten Produzenten. Die Verwertungsbewegung des Kapitals, in welcher aus Geld mehr Geld gemacht wird, wird so zum prozessierenden Selbstzweck, zum „automatischen Subjekt“ wie Marx auch sagt. Wenn nun aber die Arbeit die Substanz des Wertes und seiner Geldform ausmacht, erscheint auch Erstere in ihrer Form als Lohnarbeit als „Selbstzweck“: Permanente Veräußerung menschlicher Arbeitskraft, die über die Geldform auf sich selber rückbezogen ist. „Geld“ (bzw. „Kapital“) ist aber somit eine Form „toter“, in eine „tote Form“ gebrachter Arbeit, welche als Selbstzweck die lebendige Arbeit kommandiert und „aufsaugt“. Beständig wird es reproduziert durch den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß und beständig reproduziert es den Arbeitsprozeß als Prozeß der Kapitalverwertung. „Arbeit“ in diesem Sinne ist dann zentral die nährende Substanz jenes „automatischen Subjektes“, welches Marx zufolge gerade für die Pathologien bei den Subjekten des Arbeitsprozesses verantwortlich ist. Der kritische Stachel der Marxschen Wert- und Kapitaltheorie wird hier offensichtlich wie auch das Dilemma der Lohnarbeit, die – wenn sie ihre gesellschaftliche Form nicht sprengt und einer ganz anderen, emanzipierten Arbeitsform Platz macht – immer nur das Kapital am Leben hält. „Kapital“ und „Arbeit“ als Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft sind also nach Marx soziale Formen, die sich gegenseitig erzeugen und erhalten. „Arbeit“ bildet die Substanz des ökonomischen Wertes und der Geldform und ebenso wird ohne das Kapital Arbeit nicht in Bewegung gesetzt, bleiben Investitionen aus, wird nicht gearbeitet und stehen die Räder still. Wenn Banken dafür werben, man solle doch sein Geld dort anlegen und „für sich arbeiten lassen“, bestätigt dies den Kapital- und Zinsfetisch, denn natürlich kann Geld nicht arbeiten, sondern nur lebendige Menschen. Der Kapitalismus erweist sich auch hier als eine moderne „Alltagsreligion“, in welcher den Dingen gar seltsame Eigenschaften zugesprochen werden.
Die eingangs von mir zitierte Stelle aus den Frühschriften, in welcher Marx von der „unmenschlichen Macht“ sprach, welche paradoxerweise ja von uns Menschen hergestellt und am Leben erhalten wird, können wir nun identifizieren:
Sie ist tätig im kapitalistisch organisierten Arbeitsregime, welches unser lebendiges Tun in eine starre Form bringt, in die Geldform, welches als prozessierender Selbstzweck (auch „Sachzwang“ genannt) zum Subjekt wird, während die tätigen Menschen zu Mitteln werden, deren Lage beständig prekärer wird im Dienste des Selbstzwecks. Der ungebrochene Heißhunger des Kapitals nach unbezahlter Arbeit wird von den Standort-Apologeten ja täglich dokumentiert in ihren Forderungen nach längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich bzw. Lohnsenkungen und „Nullrunden“.
7.Kehren wir nach dieser kurzen Rekonstruktion der Marxschen Wert- und Kapitaltheorie zu unserer Ausgangsfrage zurück und Fragen nach der Soziologie der „Macht“ im Marxschen Denken, können wir nun eine Antwort wagen:
Die anonyme Macht des sie übergreifenden Zusammenhangs, welcher den Menschen beständig in verdinglichten, versachlichten Formen gegenübertritt, und dessen Formen sie nicht mehr als Produkte ihrer eigenen Tätigkeit erkennen, sondern deren eisernen Gesetzmäßigkeiten sie sich unterwerfen, ist das Spezifikum der Epoche des globalen Kapitalismus. Dieser Macht sind alle Akteure unterworfen, denn auch jeder Unternehmer wird bestraft, wenn er seinen Betrieb nicht „wettbewerbsfähig“ hält und jeder Arbeiter muß die billigere Konkurrenz anderer Arbeiter fürchten. Die „Verschlüsselung“ der Macht ist also das besondere Kennzeichen des Kapitalismus nach Marx, und seine Theorie stellt den Versuch dar, uns die Mechanismen der Macht zu erklären und ihnen damit ein kleines Stück ihrer überwältigenden Macht zu nehmen.
8.Zum Ende möchte ich es nicht versäumen, kurz auf zwei Aspekte dessen einzugehen, was Marx uns auf den Weg gegeben hat, um uns von unserer Ohnmacht zu befreien und eine emanzipiertere Ordnung möglich zu machen.
Erstens möchte ich an die Adresse der Soziologie als Sozialwissenschaft ein Wort des jungen Marx schicken, der einmal schrieb:
„Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst“ (Karl Marx (1971): Die Frühschriften, S. 199).
Ich möchte dies den aufklärerisch-humanistischen Impuls des Marxschen Denkens nennen, der in einer Linie mit den großen Aufklärern Rousseau und Kant liegt.
Zweitens hat Marx am Ende des dritten Bandes des „Kapital“ die Voraussetzungen einer emanzipierten Gesellschaft in dem Sinne umrissen, dass „der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen“ (MEW 25, S. 828).
Marx nannte diesen notwendigen Kraftaufwand, den uns die Natur abverlangt als Menschen, welche Natur stets bearbeiten und umformen müssen um sie ihren Bedürfnissen entsprechend umzuformen das „Reich der Notwendigkeit“, denn dieser Tätigkeitsform können wir als Menschen nicht entrinnen. Wohl aber können wir uns, wie Marx lehrt, diesen „Stoffwechsel mit der Natur“ würdig und vernünftig einrichten und ihn assoziiert statt konkurrenzförmig betreiben. Jenseits dieser Notwendigkeiten aber, so Marx, „beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung“ .

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Im Folgenden möchte ich einige Bemerkungen zum Verhältnis der Apelschen Diskursethik zum westlichen Marxismus meiner Lesart vorbringen.
1.)Apels diskursethische Untersuchungen zur Transzendentalpragmatik und zur ethischen Dimension argumentativer Kommunikation sind m.E. logisch zwingend und liefern eine bestechend scharfsinnige Begründung ethischer Grundannahmen. In diesem Sinne stellen sie m.E. den am weitesten entwickelten Ansatz zur Frage von Ethik und Moral dar und heben die Kantische praktische Vernunft auf in einem sprachpragmatisch fundierten Konzept auf. Der eigentlich in Fragen einer positiven Ethik nicht besonders Leistungsfähige Marxismus kann die Apelsche Diskursethik akzeptieren und selber weiter entwickeln, steht er doch weder methodisch (was die Apelsche Ableitung betrifft) noch in den von Apel entwickelten ethischen Prinzipien in irgend einem Widerspruch zum Programm der Diskursethik.
Die Idee einer herrschaftsfreien Kommunikation kann aus marxistischer Sicht nur begrüßt werden wie auch der normative Maßstab einer Annäherung der REALEN Kommunikationsgemeinschaft an die IDEALE.
Eine emanzipierte Gesellschaft im Sinne des westlichen Marxismus kann gar nicht anders gedacht werden, als eine Gesellschaft assoziierter Produzenten, die ihren sozialen Zusammenhang bewußt-vernünftig über herrschaftsfreie Kommunikation herstellen.
2.)Wo Apels Ansatz zu kurz greift ist in dem Bereich, welcher in der menschlichen Lebenspraxis dem Diskurs vorgelagert ist. Es gibt nämlich ein „materialistisches Apriori für die Verwirklichung der Diskursethik“ (Helmut Thielen (1995): Diskurs und Widerstand, S. 155). In einer von Klassengegensätzen geprägten Weltordnung besteht für viele der Unterdrückten nämlich das Problem, sich nicht diskursgerecht artikulieren zu können. Die lateinamerikanische Befreiungsphilosophie kritisiert hierin die Diskursethik, da letzterer die Sprache der Unterdrückten „barbarisch“ erscheinen muß. „Der Diskurs kann also für die Mehrheit nicht als Diskurs beginnen, SONDERN ALS SUBVERSIVE PRAXIS, die von einem ganz bestimmten Diskurs begleitet wird“ (ebd., S. 156).
3.)Dieser „Diskurs der Unterdrückten“ richtet sich gegen den „Diskurs der Unterdrücker“ und thematisiert die materielle Not der Diskurs-Subjekte. Ein totes, hungerndes oder des Schreibens und Lesens nicht mächtige Subjekt kann nämlich gar nicht oder nur sehr eingeschränkt seine Interessen argumentativ vertreten. Zwischen dem „realen“ und dem „idealen“ Diskurs stehen also klassenförmige Ungleichheiten auch in der Konstitution subjektiver Möglichkeiten zur gleichberechtigten Teilhabe am Diskurs. Das „materialistische Apriori“ der Diskursethik ist also nicht nur eine formale, sondern eine existenzielle Voraussetzung praktischer, herrschaftsfreier Diskurse.
4.)Die Diskursethik muß aus marxistischer Sicht also radikalisiert und sich einerseits ihres notwendigen „materialistischen Apriori“ bewusst werden. Andererseits kann sie helfen jene instrumentalistische Verkürzung menschlichen Handelns besser zu verstehen, die von der neoliberalen Ideologie ausgehen. Eine radikalisierte Diskursethik muß sich somit auch gegen die subjektlosen Sachzwänge des Kapitalismus wenden und dem eine emanzipatorische Rehabilitierung kritischer Vernunft entgegen halten. Apel selbst ist in der Reflexion auf die materiellen Implikationen seines Ansatzes und die Struktur des Kapitalismus inkonsequent und naiv. So versichert Apel ohne jedes kritische Bewußtsein, fest auf dem Boden von Staat und Kapital zu stehen und dennoch seinen Ansatz nicht aufgeben zu wollen. Er konstatiert, daß "die (...) Ablösung des systemischen Automatismus der auf Warentausch und Konkurrenz beruhenden Marktwirtschaft durch eine irgendwie direkte und für alle Beteiligten transparente Produktions- und Verteilungswirtschaft (...) nicht mehr als Lösung in Betracht kommt" ("Die Diskursethik vor er Herausforderung der lateinamerikanischen Philosophie der Befreiung", S. 36. In: Raúl Fornet-Betancourt: Konvergenz oder Divergenz?, 1994). Statt dessen schlägt Apel eine praktische Anwendung seines Ansatzes "im Sinne einer 'sozialen Marktwirtschaft' im Weltmaßstab" (ebd., S. 37) vor.
Apel geht also ernsthaft davon aus, daß der von ihm selbst benannte "systemische Automatismus" (Marx würde sagen: Das "automatische Subjekt") der Kapitalverwertung auf der erreichten globalen Stufe sich in ein System weitgehend "herrschaftsfreier Kommunikation" umformen ließe ohne die systemischen Automatismus SELBST aufzuheben.
Statt also die systemischen Mechanismen des Kapitals selber zu kritisieren und sich auf die Seite der Idee einer herrschaftsfreien und vernünftigen Gesellschaftsordnung zu schlagen reduziert Apel das kritische Potenzial seines eigenen Ansatzes, um letzteren für den globalen Kapitalismus "anschlußfähig" zu halten.
5.)Eine solche Depotenzierung des kritischen Gehaltes der Diskursethik muß eine kritische Gesellschaftstheorie nicht mit tragen. Sie kann die Einheit von materieller Emanzipation und herrschaftsfreier Kommunikation wahren und statt dessen auf die notwendige wechselseitige Bedingung beider Ebenen verweisen.
Der Apelsche Ansatz kann dann seine ganze Radikalität entfalten, ist doch die Idee einer vernünftigen Gesellschaftsordnung ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Entfremdung der Diskursethik und dem Marxschen Kommunismus gleichermaßen inhärent.
Allerdings wäre erst in einer sozialistischen Wirtschaft der materielle Boden für die Einlösung des Anspruchs der Diskursethik gegeben, da erst hier der gesellschaftliche Zusammenhang der Menschen naturwüchsiger Verselbständigung entrissen und unter die Vernunft der assoziierten Produzenten gestellt wäre. „Diskurs“ wäre dann emanzipierte Lebenspraxis statt universitäres Reflexionsprogramm.
Van Moorrison

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Die Aktualität des Marxschen „Kapital“ I: Mehrarbeit und Ausbeutung

„Das Kapital aber hat einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerten, Mehrwert zu schaffen, mit seinem konstanten Teil, den Produktionsmitteln, die größtmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen“ (Karl Marx: „Das Kapital“ Band I, MEW 23, S. 247).

Die derzeitige Debatte um unentgeltliche Verlängerung der Arbeitszeit steht voll und ganz im Zeichen der Erweiterung des absoluten Mehrwerts. „Mehrwert“ entsteht für Marx dann wenn die Arbeit in ihrer produktiven Verwertung mehr Wert schafft, als sie selber (in Form des Lohnes) entgolten bekommt. Der Mehrwert kann folglich gesteigert werden durch die Entwicklung der Produktivität der Arbeit – dies geschah in den neunziger Jahren z.B. mit etwa 2,5 Prozent jährlich, wobei durch die „Lohnzurückhaltung“ der relative Mehrwert deutlich zunahm, der gesamte Produktivitätsgewinn also an die Kapitalbesitzer floß. Er kann aber auch durch eine Verlängerung des Arbeitstages gesteigert werden, wenn diese Verlängerung nicht entsprechen abgegolten wird. Während der Arbeitstag nämlich verlängert wird, steigt das Produkt der Arbeit, das Mehr-Produkt. Dieses Mehr-Produkt wird klassisch als „Surplus“ bezeichnet, denn es wird zwar durch Arbeit hergestellt, nicht aber von denjenigen, welche ihre Arbeitskraft hier produktiv verausgaben, angeeignet. Es fällt an die Klasse der Produktionsmittelbesitzer, welche Arbeitskraft kaufen und produktiv verwerten im Produktionsprozeß. Kurzum:
Die Diskussion um unentgeltliche Arbeitszeitverlängerung ist Teil des „Kampfes um den Normalarbeitstag“ (Marx), in welchem sich der Kampf um den gesellschaftlichen Surplus verdichtet. Der Heißhunger des Kapitals nach Verlängerung der Arbeitszeit entspricht seinem Heißhunger nach größtmöglicher Auspressung der Lohnarbeit zwecks Steigerung der Profitrate.
Eine ganz andere Frage ist natürlich die, ob in einem ökonomischen Kreislaufprozeß (wo „Kosten“ eben wieder als „effektive Nachfrage“ auftauchen) Arbeitszeitverlängerungen wirklich die Profitmasse steigern können, oder ob sich hier nicht auch neue Verwertungsprobleme ergeben. Hellman und Bran haben hier im PF diese Zusammenhänge oft betont und herausgearbeitet.

Zur Klassen- und Surplustheorie gibt es neben Marx auch noch die Ausbeutungstheorien von Piero Sraffa und den Neoricardianern (welche ohne Werttheorie mittels Input-Output-Analyse arbeiten) sowie den „Analytischen Marxisten“ um John Roemer (welche mittels Spieltheorie und neoklassischem „methodologischen Individualismus“ Ausbeutung bzw. Klassenstrukturen herausstellen, also die Marxsche Surplustheorie ganz neu formulieren im Rahmen neoklassischer Modelle).
Lest dazu die hervorragenden Bücher von Jürgen Ritsert von der Uni Frankfurt:
1.) “Der Kampf um das Surplusprodukt“ (1988, Campus-Verlag). Hier wird auch das Modell von Sraffa eingehend besprochen sowie die Kontroverse zwischen den Schülern Sraffas und den Neo-Marxisten. Auch Max Weber und John Roemer werden eingehend besprochen.
2.) “Soziale Klassen“ (1998, Verlag „Westfälisches Dampfboot“). Sraffas Ansatz wird hier nicht mehr besprochen, dafür werden Max Webers und vor allem Pierre Bourdieus Klassentheorie genauer untersucht. Auch Marx wird hier sehr kenntnisreich vorgestellt.

Bekanntlich hat Marx im „Kapital“ (S. 161 ff.) die kapitalistische Warenzirkulation differenziert ausgewiesen im Gegensatz zu vorkapitalistischen Systemen der Warenproduktion (von der Diskussion um die „logische“ und die „historische“ Methode im „Kapital“ bzw. deren Verhältnis sehe ich der Einfachheit halber hier ab).
Idealtypisch schlägt Marx zwei Zirkulationsfiguren vor um die spezifisch kapitalistische Warenbewegung kenntlich zu machen:
(1) W –G – W (Ware –Geld – Ware)
(2) G – W – G’ (Geld – Ware – mehr Geld)
Der einfache Kreislauf (1) besteht darin, dass Waren verkauft werden für Geld und mit dem Geld wiederum andere Waren eingekauft werden. Das Geld ist gewissermaßen der vermittelnde „Ruhepol“ zwischen zwei äquivalenten Gebrauchswerten. Dieses schlichte Schema enthält bereits einige Annahmen über den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß sowie die Motive der Akteure (sh. dazu und zum Folgenden Jürgen Ritsert (1998): Soziale Klassen, S. 58 ff.). Prinzipiell steht der Erwerb von Gebrauchswerten im Zentrum dieser (arbeitsteiligen) Reproduktionsstruktur.
Die zweite Kreislaufformel ist in einer Hinsicht ganz anders strukturiert als die erste: Es handelt sich hier um die „allgemeine Formel des Kapitals“, denn „der ursprünglich vorgeschossne Wert erhält sich nicht nur in der Zirkulation, sondern in ihr verändert er seine Wertgröße, setzt einen Mehrwert zu, oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital“ (MEW 23, S. 167). Jeder Mensch kennt diesen Zusammenhang aus unserer ökonomischen Praxis heraus: Anlage suchendes Kapital (in Geldform) wird investiert, und die Investition muß eine (möglichst hohe) Rendite abwerfen. Produziert wird einzig und allein für den Zweck der Vermehrung von investiertem Geld, nicht (wie in (1)) für den Konsum. Der Konsum ist nur ein „Nebenprodukt“, ein Funktionsglied der Verwertungsbewegung des Kapitals.
Die exaktere Formel des Kapitalkreislaufes bei Marx lautet:
(3) G – W (Ak+Pm) …P…W’ – G’ =>
Ak steht für “Arbeitskraft“, Pm für “Produktionsmittel” und P für „Produktion“.
Marx stellt den Produktionsprozeß P ins Zentrum, hier werden Arbeitskraft und Produktionsmittel produktiv eingesetzt, kombiniert und Wertschöpfung betrieben. Diese Formel lässt Platz für „die historische Trennung von Betrieb (’Produktionsstätte’) und Haushalt (‚Konsumstätte’)“ (Ritsert 1998, S. 60). Das Handelskapital beispielsweise ist Teil der späteren Bewegung (nach P), in deren Verlauf der Warenwert realisiert wird.
Im Bereich P spielt sich auch die Surplusarbeitszeit ab, welche den in verschiedene Formen des Profits zerfallenen Mehrwert speist. Der Mehrwert wiederum ergibt sich aus der Differenz der Aufwendungen für Löhne (Input) und der produktiven Verausgabung der Ware Arbeitskraft (Output). Kreditbeziehungen können in die Zirkulationsformel ebenfalls integriert werden, indem am Anfang und am Ende ein Kreditverhältnis gesetzt wird:
G(K) - G – W (Ak+Pm) …P…W’ – G’ – G(K’)
Unter G(K) bzw. G(K’) firmiert der Unternehmenskredit (und somit das Bankensystem), welcher die Unternehmen mit Kapital versorgt und der am Ende eine Aufspaltung in Unternehmensgewinn und Zins (Gewinn des Kreditgebers) bedeutet.
Ein Ergebnis der Marxschen Zirkulationsschemata ist z.B. die Zurückweisung des Sayschen Getzes, welches implizit Form (1) voraussetzt (bzw. sogar noch vor Form (1) zurückfällt und direkte Tauschandlungen ohne Vermittlung von Geld impliziert) und logisch nicht gelten kann unter Form (2), da hier die Ware als Produkt von Kapitalien behandelt wird und Überproduktion “in Bezug auf die Verwertung“ (Marx) möglich wird. Form (1) dagegen kann unmöglich Überproduktion oder Unterkonsumtion hervorbringen, da hier das Geld ohnehin eine „verschwindende Form“ ist und nicht Motor der Bewegung wie bei Form (2). Keynes hat in seiner „General Theory“ als kluger Realist die Marxsche Zirkulationsformel angewandt und ist zum selben Ergebnis gekommen.
Auf einen anderen wichtigen Punkt verweist Tomas Moulian in seinem kürzlich erschienen Buch (2003) „Ein Sozialismus für das 21. Jahrhundert“:
„Der Kapitalismus verwandelt die in die produzierten Güter eingebrachte Arbeit in etwas Abstraktes, indem er Gebrauchswert und Tauschwert voneinander trennt. Auf dieses Weise verlieren die Güter ihren Bezug zur Reproduktion des Lebens, weil sie in Bezug zur Reproduktion des Kapitals stehen“ (S. 193/194).
Auch dieser tagtäglich zu beobachtende Zusammenhang wird erst bei genauer Analyse der Marxschen Zirkulationsformel sichtbar, denn der Gebrauchswert ist in Bewegung (2) und (3) nur mehr ein MITTEL zum Zwecke der Akkumulation abstrakter Wertquanta. Die Ware
steht also in einer bestimmten Beziehung zum Geld: Sie ist nicht mehr wie in Formel (1) Ausgangs- und Endpunkt einer um den Gebrauchswert strukturierten Produktionsweise, sondern Teil der objektiven Verwertungsbewegung des auf sich selber rückgekoppelten Geldes in seiner Kapitalform.
Weitere wichtige Aspekte der Zirkulationsformel (3) sehe ich hierin:
1.Sie berücksichtigt die Existenz „freier Lohnarbeit“ sowie deren spezifisches Tauschverhältnis mit dem Kapital.
2.Sie berücksichtigt den Privatbesitz an Produktionsmitteln.
3.Sie weist der Marxschen Wertform-Analyse einen zentralen Punkt zu, nämlich im Verständnis der Verwandlung materieller Prozesse (P) in ihre soziale Form (nämlich in ihre Geldform, welche stets Kapitalform annimmt).
4.Der Wachstumszwang des Kapitalismus wird hier anschaulich erklärt: Wachstum ist nämlich nur ein anderes Wort für „Verwertung des Werts“.
5.Der bürgerlich-liberale Dualismus von Individuum und Gesellschaft wird hier ad absurdum geführt, denn die materielle gesellschaftliche Reproduktion (im Punkt (P) als dem Ort der gesellschaftlichen Arbeit) vollzieht sich gerade über die Einbeziehung der am Markt agierenden Individuen (Arbeiter, Kapitalbesitzer, Management, Banker) in die spezifisch kapitalistische Produktionsweise.
6.Kreditbeziehungen und somit die Aufspaltung des Mehrwertes in seine verschiedenen Formen werden hier problemlos mit einbezogen und erhellt. Man kann eben nicht „Geld für sich arbeiten“ lassen, sondern nur über produktiven Einsatz von Technik und Arbeit Geld in mehr Geld verwandeln.
7.Die Trennung von Management („fungierende Kapitalisten“) und Kapitalbesitzern (Aktienbesitzern, Kreditgebern usw.) wird hier kenntlich gemacht.
Es handelt handelt sich bei Formel (3) folglich um eine eminent soziologische Form der Gesellschaftsanalyse, welche natürlich nicht alle Phänomene hinreichend erfassen kann, die aber ein gutes allgemeines Verständnis der prinzipiellen Funktionsmechanismen eines modernen Kapitalismus eröffnet.
Daß bürgerliche Ökonomen über Form (1) nicht hinauskommen zeigt den Niedergang der Apologie, die sich keine wissenschaftlich seriösen Erkenntnisse mehr erlauben darf, denn sonst würde sie ihren Auftrag gefährden:
Die Heiligsprechung des globalen Standort-Wahns und die Vorbereitung der Menschheit auf den Rückfall in eine neue Barbarei. Die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie beantwortet diese morbide Esoterik mit radikaler Aufklärung aus emanzipatorischer Perspektive.

Die allgemeine Zirkulationsformel des Kapitals lauter nach Marx bekanntlich:
G – W (Ak+Pm) …P…W’ – G’ =>
(Ak steht für “Arbeitskraft“, Pm für “Produktionsmittel” und P für „Produktion“)
Das einzelne Unternehmen muß also im Rahmen seines ökonomischen Aktivität erstens die Mittel seiner Produktion erwerben und zweitens seine Erzeugnisse verkaufen. Es steht folglich über Märkte ständig in Interaktion mit anderen Unternehmen, die es beliefert, und von denen es beliefert wird. Darüber besteht kein Zweifel in einer arbeitsteiligen Volkwirtschaft.
Marx hat sich nun im zweiten Band des „Kapital“ die logische Frage gestellt, wie die verschiedenen Kreisläufe der Einzelunternehmen geordnet und zusammengefasst werden können zum besseren Verständnis der Reproduktionsstruktur des gesamten Systems. Hierfür unterteilt er die Unternehmen zunächst in zwei große Gruppen: Jene welche Produktionsmittel (Pm) und jene, welche Konsumtionsmittel (Km) herstellen. Der in beiden Abteilungen produzierte Mehrwert wird nach der Art seiner Verwendung unterteilt in erstens jenen Teil, welchen die Kapitaleigner selbst für ihren privaten Konsum verwenden (private Revenue mr) und zweitens den Teil, welchen sie erneut investieren und somit als Kapital einsetzen, also akkumulieren (ma). Da dieses reinvestierte Kapital nun zum einen neue Produktionsmittel kauft und zum anderen neue Arbeitskraft, zerfällt es in mac und mav. Wir erinnern uns: mit „c“ ist bei Marx immer jener Bestandteil des kapitalistischen Unternehmens gemeint, der aus Produktionsmitteln besteht (also Maschinen jeglicher Art), mit „v“ die Löhne als der in lebendige Arbeitskraft investierte Teil. Der Mehrwert „m“ besteht in dem Überschuß des Warenwertes über den Wert nach Ausgaben für Produktionsmittel und Löhne.
Das Ausgangsschema der „erweiterten Reproduktion“ des Kapitals lautet dann:
(1)Abteilung I: c1 + v1+ mac1 + mav1 + mr1 = Pm
(2)Abteilung II: c2 + v2 + mac2 + mav2 + mr2 = Km
Es handelt sich hier um eine eindeutig arbeitsteilige Wirtschaft, in welcher Unternehmen über Märkte miteinander in Austauschbeziehungen stehen.
Wie wir sehen können wird übergreifend die Nachfrage nach Produktionsmitteln ausgedrückt in den Terms c1 + c2 + mac1 + mac2 (welcher dann identisch ist mit c1 + v1+ mac1 + mav1 + mr1 aus Gleichung (1)). Die Gesamtnachfrage nach Waren des persönlichen Konsums geht aus von v1 + v2 + mav1 + mav2 + mr1 + mr2 (welcher dann identisch ist mit c2 + v2 + mac2 + mav2 + mr2 aus Gleichung (2)).
Jede Abteilung deckt auch ihren eigenen Bedarf in Teilen ab, denn Abteilung I verbraucht ja selber Produktionsmittel (welche sie herstellt) und Abteilung II selber Konsumtionsmittel (welche auch sie selber herstellt). Abteilung I erzeugt folglich den Gegenwert der eigenen Produktionsmittel c1 + mac1 und Abteilung II stellt selber her die Konsumgüter v2 + mav2 + mr2. Wenn diese Anteile der Eigenproduktion nun aus dem Schema gestrichen werden, ergibt sich der notwendige Austausch zwischen beiden Abteilungen in der Gleichung:
v1 + mav1 + mr1 = c2 + mac2
Dies stellt somit die unbedingte “Klammer” dar zwischen den beiden Produktionsabteilungen. Abteilung I muß also die Produktionsmittel für II herstellen und gleichzeitig eine ausreichende Nachfrage nach deren für sie produzierten Konsumgütern bereitstellen. Umgekehrt muß Abteilung II ausreichend Konsumgüter für Abteilung I produzieren und gleichzeitig ausreichend Produktionsmittel von I nachfragen, so dass dort kein Überschuß oder Mangel an Produktionsmitteln im Austausch entsteht.
Die englische Ökonomin Joan Robinson hat schon wenige Jahre nach dem Erscheinen von Keynes’ „General Theory“ 1942 darauf aufmerksam gemacht, dass bei Marx bereits implizit eine Theorie der „effektiven Nachfrage“ vorliegt. Sie fasst ihre Ausführungen in ihrem Buch „Grundprobleme der Marxschen Theorie“ in dem Kapitel „Die effektive Nachfrage“ so zusammen:
„Die Konsumtion der Arbeiter wird begrenzt durch ihre Armut, während die Konsumtion der Kapitalisten begrenzt wird durch ihre Habsucht nach Kapital, welche sie veranlasst, Reichtum zu akkumulieren statt Luxusaufwendungen zu machen. Die Nachfrage nach Konsumgütern (dem Produkt der Abteilung II) ist auf diese Weise begrenzt. Aber wenn der Output der Konsumgüterindustrien durch den Markt beschränkt ist, so bestehen wiederum auch Schranken für die Nachfrage nach Kapitalgütern (Abteilung I), denn das konstante Kapital der Konsumgüterindustrien wird sich nicht rasch genug ausdehnen, um den potentiellen Output der Kapitalgüterindustrien zu beanspruchen. So ist die Einkommensverteilung zwischen Löhnen und Gewinnen dergestalt, dass sie eine chronische Tendenz zu einem mangelhaften Ausgleich zwischen den beiden Abteilungen hervorruft“ (S. 68 der „Metropolis“-Ausgabe von 1989).
Die wechselseitige Verflechtung der beiden fundamentalen Sektoren erweist sich also als überaus problematisch vor dem Hintergrund der rein mikroökonomisch ausgerichteten Motivation der Akteure. Die sattsam bekannte „Schwäche des Binnenmarktes“ (sprich: effektiver Nachfrage auf dem Binnenmarkt) lässt sich also leicht im Rahmen der Marxschen Schemata darstellen, denn hier wird ja über die Verklammerungs-Formel klargestellt, dass die Expansion von Sektor I an die Konsumtionskraft von Sektor II gebunden ist. Damit die „erweiterte Reproduktion“ des Kapitals möglich ist muß eine ausreichende Nachfrage nach Gütern des Sektors II gegeben sein, denn sonst kann Sektor I nicht wachsen und folglich der Mehrwert der vorhergehenden Periode nicht gewinnbringend re-investiert werden. Marx und Keynes reichen sich hier also durchaus die Hand.
Die Marxschen Schemata können selbstverständlich erweitert werden z.B. auf 3 Sektoren, also Sektor I und II wie bereits erörtert plus eines Sektors III für Luxusgüter (welcher sich über die Revenuen mr1 und mr2 alimentiert). Ein vierter Sektor könnte eingeführt werden wenn Sektor I ebenfalls differenziert wird in einen Sektor, der Produktionsmittel zur Produktion von Produktionsmitteln herstellt und einen Sektor, der Produktionsmittel zur Herstellung von Konsumgütern hervorbringt. Schrittweise könnte so eine Annäherung an die Wirklichkeit der kapitalistischen Produktionsweise erreicht werden. Leontieffs Input-Output-Economics haben diese Möglichkeit bekanntlich systematisch umgesetzt.

Zur Aktualität des Marxschen „Kapital“ IV: Die „Trinitarische Formel“

1.Den schönen Schein der bürgerlichen Gesellschaft, daß ihre Grundkategorien „Arbeit“ und „Kapital“ (zu Marx’ Zeiten auch noch wichtig: das „Grundeigentum“, das ich hier ausspare aus Platzgründen) transhistorische Kategorien sind, welche allen Produktionsweisen zu eigen sind, zerstörte Marx mit seiner historischen und logischen Untersuchung dieser Kategorien selbst. „Kapital“ im Sinne der bürgerlichen Ökonomen nennt er „Produktionsmittel“, und er unterscheidet „Kapital“ als sich verwertenden Wert (bürgerlich: Geldkapital, das rendite-orientiert investiert wird) von „Kapital“ als „Produktionsmittel“. Letzteres existiert in jeder menschlichen Gesellschaft, ersteres dagegen ist in seiner modernen Form an eine Reihe historischer und politischer Gesellschaftsstrukturen gebunden.
2.Der Trick der bürgerlichen Ökonomie ist nun, daß sie die historisch-gesellschaftlichen Formbestimmungen des ökonomischen Gegenstandes komplett ausblendet und allein auf der Ebene ahistorisch-technischer Funktionszusammenhänge argumentiert. Auf dieser Ebene lassen sich aber die gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhänge, in welchen die technischen Kategorien „Arbeit“ und „Produktionsmittel“ jeweils Anwendung finden, nicht beschreiben. Die bürgerliche Ökonomie lässt deshalb kurzerhand beide in eins fallen und identifiziert diese allgemeinen Produktionszusammenhänge (ahistorisch-unvermittelte Beschreibungsebene A) mit der Produktionsform der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft (historisch-gesellschaftliche Beschreibungsebene B). Folglich wird viel vom „natürlichen Preis“, dem „natürlichen Zins“ usw. geredet, denn im Prinzip sind auch die quantitativen Aussagen an die Idee eines "natürlichen", sich selbst regulierenden Gleichgewichtsmechanismus (den man der Mechanik entnommen hat!) angelehnt.
Mit der neoklassischen Wert- und Verteilungstheorie ist dieses Programm dann vollendet worden und der „natürliche Preis“ wird seither verstanden als das Produkt der marginalen Faktoreinsätze der Produktionsfaktoren. Die Maschine produziert ihren Wertanteil die Arbeit und beide zusammen bilden den Wert des Endproduktes. Da die Maschine aber selber kein Einkommen erhalten kann, erhält der Besitzer der Produktionsmittel das Einkommen als Entschädigung für seinen „Konsumverzicht“. Mensch und Maschine (bzw. „Produktionsmittel“) sind also einander gleichgestellt in der Neoklassik, denn sie betrachtet das Preissystem ausschließlich vom Standpunkt technischer Betriebsabläufe aus und nicht vom Standpunkt der Arbeitswerttheorie. Für Letztere ist nämlich die Technik nur ein Hilfsmittel für die Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit (die ihren Eigenwert lediglich auf das Produkt überträgt) und die Arbeit Substanz der Wertform resp. des Geldes. Dem mikroökonomisch-produktionstechnischen Axiom der Neoklassik steht hier also eine monetäre Theorie der gesellschaftlichen Synthesis privater Produzenten entgegen, die ihre Arbeitsaufwendungen unter Nutzung von Produktionstechniken steigern und somit in ihrem Preissystem menschliche Energie gekoppelt mit technisch determinierter (Arbeits-) Produktivität einsetzen. (Sh. ausführlicher auch mein Thread:
3.Marx hat in seinen Ausführungen zur „Trinitarischen Formel“ im dritten Band des „Kapital“ eine Kritik an der bürgerlichen Einkommenstheorie formuliert als Kritik an der ökonomischen Klassik. Sie gilt unverändert auch der Neoklassik:
„Fällt also die Arbeit mit der Lohnarbeit zusammen, so fällt auch die bestimmte gesellschaftliche Form, worin die Arbeitsbedingungen nun der Arbeit gegenüberstehen, zusammen mit ihrem stofflichen Dasein. Die Arbeitsmittel sind dann als solche Kapital, und die Erde als solche ist Grundeigentum. Die formale Verselbständigung dieser Arbeitsbedingungen gegenüber der Arbeit, die besondere Form dieser Verselbständigung, die sie gegenüber der Lohnarbeit besitzen, ist dann eine von ihnen als Dingen, als materielle Produktionsbedingungen untrennbare Eigenschaft, ein ihnen als Produktionselementen notwendig zukommender, immanent eingewachsener Charakter. Ihr durch eine bestimmte Geschichtsepoche bestimmter sozialer Charakter im kapitalistischen Produktionsprozeß ist ein ihnen naturgemäß, und sozusagen von Ewigkeit her, als Elementen des Produktionsprozesses eingeborener dinglicher Charakter“ (MEW 25, S. 833).
4.Michael Heinrich merkt dazu an:
„Die sozialen Formbestimmungen Lohnarbeit, Kapital und Grundeigentum fallen anscheinend mit den stofflichen Produktionsbedingungen Arbeit, Produktionsmittel und Erde zusammen, so daß jeder Arbeitsprozeß eigentlich schon kapitalistischer Produktionsprozeß ist“ (Kritik der Politischen Ökonomie – Eine Einführung, Schmetterling Verlag 2004, S. 184).
Die „Versachlichung“ gesellschaftlicher Zwänge wird somit affirmativ in die Theorie übernommen, die nur noch „Sachen“ kennt und auch den Menschen anhand einer sozialen Physik (die der klassischen Mechanik entnommen ist) zur „Sache“ erklärt, die ohne Geschichte und soziale Beziehung die Kategorien des Kapitals als ewig unveränderliche „Vernunftbestände“ zu akzeptieren hat. Das Individuum hat fortan nur noch im Rahmen der neoklassischen Monadologie als asozialer „Nutzenmaximierer“ sich zu verhalten, welcher seinem gesellschaftlichen Produktionszusammenhang gegenüber unterwürfig und gleichgültig ist. Der „Nutzen“ der kapitalistischen Wirtschaftform selbst wird durch Rekurs auf abstrakte Individuen und ahistorische soziale Formen verschleiert. Die Auslieferung des Menschen an die Imperative der Kapitalverwertung nimmt so die Form der „Freiheit“ an.

Sh. auch folgende Zitate Marxens:
Das Kapital Band III, MEW 25, S. 838:
„Im Kapital - Profit, oder noch besser Kapital - Zins, Boden - Grundrente, Arbeit - Arbeitslohn, in dieser ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang der Bestandteile des Werts und des Reichtums überhaupt mit seinen Quellen ist die Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse, das unmittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer geschichtlich-sozialen Bestimmtheit vollendet: die verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben. Es ist das große Verdienst der klassischen Ökonomie, diesen falschen Schein und Trug, diese Verselbständigung und Verknöcherung der verschiednen gesellschaftlichen Elemente des Reichtums gegeneinander, diese Personifizierung der Sachen und Versachlichung der Produktionsverhältnisse, diese Religion des Alltagslebens aufgelöst zu haben“.


Das Kapital Band III, MEW 25, S. 839:
„In der Darstellung der Versachlichung der Produktionsverhältnisse und ihrer Verselbständigung gegenüber den Produktionsagenten gehen wir nicht ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt, seine Konjunkturen, die Bewegung der Marktpreise, die Perioden des Kredits, die Zyklen der Industrie und des Handels, die Abwechslung der Prosperität und Krise, ihnen als übermächtige, sie willenlos beherrschende Naturgesetze erscheinen und sich ihnen gegenüber als blinde Notwendigkeit geltend machen. Deswegen nicht, weil die wirkliche Bewegung der Konkurrenz außerhalb unsers Plans liegt und wir nur die innere Organisation der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt, darzustellen haben.
In frühern Gesellschaftsformen tritt diese ökonomische Mystifikation nur ein hauptsächlich in bezug auf das Geld und das zinstragende Kapital. Sie ist der Natur der Sache nach ausgeschlossen, erstens, wo die Produktion für den Gebrauchswert, für den unmittelbaren Selbstbedarf vorwiegt; zweitens, wo, wie in der antiken Zeit und im Mittelalter, Sklaverei oder Leibeigenschaft die breite Basis der gesellschaftlichen Produktion bildet: die Herrschaft der Produktionsbedingungen über die Produzenten ist hier versteckt durch die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse, die als unmittelbare Triebfedern des Produktionsprozesses erscheinen und sichtbar sind. In den ursprünglichen Gemeinwesen, wo naturwüchsiger Kommunismus herrscht, und selbst in den antiken städtischen Gemeinwesen ist es dies Gemeinwesen selbst mit seinen Bedingungen, das als Basis der Produktion sich darstellt, wie seine Reproduktion als ihr letzter Zweck. Selbst im mittelalterlichen Zunftwesen erscheint weder das Kapital noch die Arbeit ungebunden, sondern ihre Beziehungen durch das Korporationswesen und mit demselben zusammenhängende Verhältnisse und ihnen entsprechende Vorstellungen von Berufspflicht, Meisterschaft etc. bestimmt. Erst in der kapitalistischen Produktionsweise“.

Zur Aktualität des Marxschen „Kapital“ V: Die Werttheorie

1.Im ersten Band des Marxschen „Kapital“ wird die Werttheorie grundlegend entwickelt in ihrer qualitativen Dimension. Dabei ist der Marxsche Wert-Begriff vierdimensional angelegt, nämlich in Substanz, Form und Größe des Wertes und in der Dimension der Zeit. Diese Begriffe möchte ich aus meiner Sicht in Kürze vorstellen:
A.)Die Wert-Substanz
Die „Wert-Substanz“ deutet bereits vom Begriff her an, daß nach Marx im Waren-Wert etwas Substantielles „erscheint“, das dem quantitativen Wert seine spezifische Qualität zuweist (und ihn somit rational erklärbar macht). Nach Marx ist dies die „abstrakte Arbeit“, welche den Waren im Tausch zugewiesen wird. Während also fraglos zur Produktion jeder Ware ein bestimmtes Quantum konkreter Arbeit eingesetzt wird, kann im Tausch nur die Reduktion aller Waren auf ein vergleichbares Maß den Tausch ermöglichen. Im Tausch erfährt die Ware als Produkt eines konkreten Produktionsprozesses also eine Bewertung als Teil aller „konkreten Produktionsprozesse“ die in ihrer Summe den gesellschaftlichen Gesamt-Produktionsprozeß bilden (in Zeiten der „Globalisierung“ sogar den „Weltmarkt“). Sobald die Ware also unter Konkurrenzbedingungen in die Zirkulation geworfen wird, ist nicht mehr die konkrete Arbeit, welche in ihr vergegenständlicht wurde Maßstab des Wertes, sondern ihre über die Geldform ausgedrückte Einheit mit allen Waren. Die Wert-Substanz ist also nichts physisches, das einer einzelnen Ware zukommt, sondern ein gesellschaftliches Geltungs-Verhältnis, welches den Waren deshalb zukommt, weil ihre Produzenten vereinzelt sind erst über den Tausch ihre wechselseitige Verflechtung herstellen. Im Akt dieser Verflechtung stellen sie ihren Produktionszusammenhang als „real-abstrakten“ her, denn sie abstrahieren im Tausch von den (nicht-quantifizierbaren) konkreten Eigenschaften der Arbeitsprodukte und vollziehen damit durch ihre Handlungs-Struktur eine Real-Abstraktion. Folglich ist der Marxsche Wert-Begriff nicht „nominalistisch“ zu verstehen im Sinne Weberscher „Idealtypen“, sondern erkenntnistheoretisch ein Novum, das handlungstheoretisch einen Vorgang der „Real-Abstraktion“ beschreibt.

B.)Die Wert-Form
Wie bereits erwähnt besteht der Wert einer Ware nach Marx in der Menge „abstrakter Arbeit“, welche die Marktteilnehmer der Ware zuerkennen durch die Marktgesetze hindurch. Die Arbeit der Produzenten, welche die Ware hergestellt haben muß also auf dem Markt anerkannt werden bzw. „Geltung“ erlangen. Will die Ware keiner kaufen oder nur unter ihren Produktionskosten wurde zu viel produziert oder einfach an den Bedürfnissen vorbei. Eine jede Ware will also verkauft werden und zwar gegen – Geld. Nach Marx ist das Geld somit (und das ist auch der etymologische Ursprung des Wortes im Deutschen) jenes Medium, in dem die produktiven Verausgabungen Geltung erlangen. Weil die Gesellschaft ihre Arbeitskraft nicht geplant verteilt über eine vernünftige Absprache der Produzenten, sondern private Produzenten mikroökonomisch ausgerichtet voneinander getrennt produzieren, stellt sich die Frage nach dem Koordinationsmedium und dem Koordinationsmechanismus einer dergestalt organisierten Produktionsform. Weil nun private Produktion nur über den Tausch miteinander vermittelt werden kann, kommt jeder Ware neben ihrem Gebrauchswert (den sie als einzelnes, konkretes Ding in jeder Gesellschaft hat) auch ein Tauschwert zu. Waren sind nämlich „Gebrauchswerte für andere“, produziert von Produzenten für andere Produzenten oder für die Verbraucher. Um Gebrauchswert zu werden muß eine Ware also durch die Wert-Form hindurch und um durch die Wert-Form zu gehen muß sie einen Nutzen stiften für einen Käufer. Kurzum: Die Ware ist als konkreter Gebrauchswert ein Einzelding, während sie über die Wert-Form ein gesellschaftliches Ding ist. Über das Geld sind alle Produzenten miteinander verbunden, denn in ihrer Produktion sind sie als Privat-Unternehmer ja getrennt. Die Marxsche Wertform-Analyse stellt sich also dem entscheidenden Problem, wie private Produzenten, die in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander stehen, ihren Produktionszusammenhang herstellen können. Das Problem löst Marx, indem er in vier logischen Schritten von der einfachsten Tauschsituation („Einfache oder zufällige Wertform“) bis zur entwickelten Geldform die Herausbildung eines allgemeinen Äquivalentes untersucht. Die Marxsche Werttheorie ist folglich eine monetäre Werttheorie, insofern die Waren erst über die Wertform zu Waren werden, denn ohne die Wertform (an deren Ende die Geldform steht) hätten wir es gar nicht mit einer arbeitsteiligen Gesellschaft privater Produzenten zu tun. Wertform und gesellschaftliche Arbeitsteilung stehen also in einem logischen Verhältnis.

C.)Die Wert-Größe
Da die privaten Produzenten miteinander konkurrieren kann die im Einzelbetrieb verausgabte konkrete Arbeitszeit nicht Maßstab irgend eines Warenwertes sein. Wenn Betrieb A doppelt so lange braucht wie Betrieb B um ein grünes Tischtuch herzustellen kann er nicht doppelt so viel Geld verlangen (das geht nur bei bestimmten Luxus-Produkten, die unter die Kategorie von Monopol-Preisen fallen). Kein Mensch würde dann bei A einkaufen und A würde auf seiner Ware sitzen bleiben. Statt dessen wird durch die Konkurrenz der Wert grüner Tischtücher durch die Arbeitsproduktivität von Betrieb B bestimmt. Neben der Konkurrenz innerhalb eines Produktionszweiges bestimmt aber auch die Konkurrenz zwischen den Produktionszweigen die Wertgröße, denn wenn die Hersteller von Analogkameras nicht berücksichtigen, daß inzwischen eine gutes Teil der Nachfrage nach Photogeräten Nachfrage nach Digitalkameras ist, haben sie über dem gesellschaftlichen Bedürfnis produziert, somit mehr angeboten als nachgefragt wird zum Gleichgewichtspreis und müssen folglich ihre Preise senken (was ihre Rendite schrumpfen lässt). Drittens führt die Konkurrenz dazu, daß Kapital von Produktionssphären mit niedrigerer Rendite in Bereiche mit höheren Verwertungsmöglichkeiten fließt. Ein Produktivitätsvorsprung oder ein Innovationsvorsprung ist also in einem Wettbewerbssystem meist nicht dauerhaft, denn der Extraprofit der Innovation lockt die Konkurrenz. Deshalb geht Marx in dritten Band des „Kapital“ von einer einheitlichen Profitrate aus und nähert sich so dem neoklassischen Gleichgewichtspreis an. Nichtsdestotrotz bleibt sein Gleichgewichtspreis werttheoretisch fundiert und die Abweichungen einzelner Waren von ihren Werten sind der dritten Wirkung der Konkurrenz geschuldet, die bestehende Werte umverteilt und Extraprofite somit als Endpunkt der Bildung von Gleichgewichtspreisen nicht zulässt. Marx geht somit von „Ungleichgewichten“ bei der mikroökonomisch orientierten Produktion unabhängiger Produzenten aus, denn betriebswirtschaftlich können Extraprofite erwirtschaftet werden. Soweit der Markt dann aber die Unternehmen konkurrenzförmig vermittelt, verwandeln sich diese Extraprofite in Durchschnittsprofite und ein idealtypischer „Gleichgewichtspreis“ steht am Ende der Entwicklung.

D.)Die Zeit: Wert als Einheit von Produktion und Zirkulation
Wie bereits erwähnt ist die Marxsche Werttheorie eine Theorie sowohl der Produktion als auch der Zirkulation der Waren. Produziert wird im mikroökonomischen Raum durch private Produzenten, getauscht werden diese Produkte als Waren auf Märkten. In der Marxschen Welt gibt es also Unsicherheiten (das „Realisierungsproblem“: kann ich meine Ware verkaufen und mein Kapital dabei verwerten?), folglich Kausalitäten (erst wird produziert, dann das Produzierte verkauft) und das Geld ist hier nicht nur einfach wie in der Neoklassik ein „Schleier“ über „realen“ Tauschvorgängen, sondern zentrales Koordinationsmedium, ohne das eine arbeitsteilige Marktwirtschaft unmöglich funktionieren könnte.

2.Demgegenüber zeichnet sich die herrschende neoklassische Wirtschaftstheorie dadurch aus, daß sie Gebrauchwert und Tauschwert konfundiert und somit die Marktstruktur selber verfälscht wiedergibt. Das Problem der Vergesellschaftung privater Produktionsleistungen übergeht sie durch Rekurs auf das „Saysche Gesetz“, das allerdings bereits voraussetzt, was es eigentlich zu entwickeln hätte – nämlich die Übereinstimmung von monetärer und „realer“ Sphäre. Da aber die monetäre Sphäre auch eine Sphäre monetärer Investitionsströme ist (Marx redet hier von „Mehrwert heckendem Wert“), findet nicht nur potentiell das Geld als Schatzmittel Eingang in die Theorie, sondern auch als Kapital. Das Ungleichgewicht lauert also nicht nur hinter der Differenz von Sparen und Investieren, sondern auch hinter einer sinkenden Profitrate und Problemen in Bezug auf die Verwertung. Das hoffnungslos unterkomplexe und prämonetäre Modell von Say kann hier noch nicht mal die Problemstellung erkennen. Genau deshalb wird seine apologetische Kraft so geschätzt und ist es in der Realität so eine Lachnummer.

Zusammenfassend möchte ich aus meiner Sicht feststellen, daß die Marxsche Werttheorie ERSTENS eine erkenntnistheoretisch fundierte Theorie der marktförmigen Vermittlung privater Produzenten ist (erster Band des „Kapital“), ZWEITENS eine moderne Wachstumstheorie bereitstellt (zweiter Band des „Kapital“) und DRITTENS eine hohe krisentheoretische Relevanz hat (dritter Band des „Kapital“)

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Man verdirbt einen Menschen am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten, als den Andersdenkenden.
Friedrich Nietzsche

Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will.

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Zuletzt geändert von Azazin am 25.11.2005, 01:24, insgesamt 1-mal geändert.

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puh, jetzt musst du auch jemanden finden, der sich das ganze auch durchliest :razz:


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xnonamex hat geschrieben:
puh, jetzt musst du auch jemanden finden, der sich das ganze auch durchliest :razz:


Eventuel is ja einem mal langweilig und weiß nicht was er machen soll. Da kommt doch son genialer text gerade richtig :D

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Azazin, hast du das verfasst? Ich habe es nicht gelesen...mach es vielleicht im Laufe des Freitags, bin grad nicht mehr in der Lage für sowas. Aber meine Meinung zu dem Thema ist sowieso eindeutig...und zwar Anti...


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Eine alternative zur Marxischen theorie ist die Freiwirtschaftslehre (nicht zu verwechseln mit freier Marktwirtschaft):


Freiwirtschaft ist eine Wirtschaftstheorie basierend auf den Ideen Silvio Gesells, nach der der Zins- und Zinseszins-Mechanismus als ungerechter und die Wirtschaft lähmender Umverteilungsprozess des Geldvermögens aufgefasst wird. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das private Bodeneigentum. Nach Auffassung der Freiwirtschaftler liegt beim Grundbesitz eine starke Konzentration des Eigentums vor, so dass sie von einem faktischen Monopol sprechen, das die freie wirtschaftliche Entfaltung vieler anderer begrenze.

Hauptziel der Freiwirtschaft ist somit eine von diesen Monopolen befreite Marktwirtschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, fordern die Vertreter der Freiwirtschaftslehre die Einführung von Freigeld und Freiland.

Ideengeschichte

Silvio Gesell entwickelte seine Theorie zu Beginn der 20. Jahrhunderts und veröffentlichte seine wichtigsten Thesen erstmals im Jahre 1916 in dem Buch "Die natürliche Wirtschaftsordnung". Die Freiwirtschaftslehre distanziert sich dabei sowohl vom Kapitalismus als auch vom Sozialismus. Damit ähnelt die Freiwirtschaft sehr dem Wirtschaftsmodell, das Rudolf Steiner in seiner "Dreigliederung des sozialen Organismus" fordert ("Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben"). Obwohl sich Rudolf Steiner explizit gegen die Geldreformvorstellungen Gesells wandte, ähneln sich die Vorstellungen hinsichtlich eines "neutralen Geldes". Es gab deshalb auch immer Berührungspunkte, auch personeller Art, zwischen den beiden Bewegungen.

Die Nationalsozialisten griffen anfangs einige Schlagworte der Zinskritik auf und propagierten etwa die "Brechung der Zinsknechtschaft", allerdings nicht als grundsätzliche Kritik des Geldsystems, sondern gegen das Judentum gerichtet. Die nationalsozialistische Wirtschafts- und Geldpolitik in Deutschland zeigte keinerlei freiwirtschaftlichen Elemente.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde die Freiwirtschaft als mögliche Grundlage einer neuen Wirtschaftsordnung intensiv diskutiert. Im Jahre 1949 startete die Schweizer Freigeldbewegung eine Volksinitiative 'zur Sicherstellung der Kaufkraft und Vollbeschäftigung (Freigeldinitiative)'. Diese Initiative wurde durch die Volksabstimmung vom 15. April 1951 abgelehnt, stattdessen befürworteten die Wähler den Gegenentwurf der Bundesregierung..

Die Freiwirtschaftslehre wird von der universitären Wirtschaftswissenschaft und den Vertretern moderner Wirtschaftstheorien weitgehend ignoriert bzw. inhaltlich abgelehnt.

Thesen der Freiwirtschaft

Die Freiwirtschaft beschäftigt sich mit dem Geldkreislauf einer Volkswirtschaft, der nach freiwirtschaftlicher Auffassung durch einen sogenannten "Geldstreik" behindert wird.

Grundlagen

Die Quantitätsgleichung von Irving Fisher kann als theoretische Grundlage der Freiwirtschaftslehre angesehen werden. Sie bringt zum Ausdruck, wie sich die Menge aller realwirtschaftlichen Transaktionen (T), das Preisniveau (P), die Geldmenge und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (U) zueinander verhalten: T \cdot P = G \cdot U
(Transaktionen) \cdot (Preisniveau) = (Geldmenge) \cdot (Umlaufgeschwindigkeit)

Die Umlaufgeschwindigkeit ist nach freiwirtschaftlicher Auffassung nicht konstant, sondern vom jeweiligen Zinsniveau abhängig. Der Zins dient als Liquiditätsprämie für längerfristige Investitionen, so dass Investoren bei einem hohen Zinsniveau eher investieren und dadurch das Bruttosozialprodukt erhöhen. Da die Kreditnachfrage bei steigenden Zinsen jedoch abnimmt, ergibt sich ein Marktgleichgewicht mit einem positiven Zinssatz.

Bei einem positiven Zinssatz kommt es zu einer Umverteilung vom Kreditnehmer zum Kreditgeber. Das Vermögen eines Kreditgebers, der sein Vermögen nicht für den Konsum verwendet, wächst bei einem konstanten Zinssatz durch den Zinseszinseffekt exponentiell an und erreicht einen zahlenmäßigen Betrag, der nicht mehr durch die reale Produktion gedeckt werden kann.

Liegt der Zinssatz jedoch unter der erwarteten Liquiditätsprämie des Geldbesitzers, so investiert dieser nicht und die Volkswirtschaft gerät in eine Liquiditätsfalle. Der Grundgedanke der Freiwirtschaft besteht darin, die Traglast der Liquiditätsprämie durch einen regelmäßigen kostenpflichtigen Geldumtausch dem Geldbesitzer aufzubürden, um den Kreditnehmer in entsprechender Höhe zu entlasten.

Da ein regelmäßiger Geldumtausch hohe Verwaltungskosten verursacht, werden Zeitpunkt und Verfahren des Geldumtausches innerhalb der Freiwirtschaft intensiv diskutiert. Der volkswirtschaftliche Wohlfahrtseffekt durch Zinssenkung übertrifft nach Auffassung der Freiwirtschaftler bei weitem die Verwaltungskosten des regelmäßigen Geldumtauschs.


Die Freiwirtschaftslehre beruht auf dem Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft.

Fehler des Geldsystems

Der Theorie der Freiwirtschaft nach hat unser derzeitiges Geldsystem folgende Fehler: Geld kann prinzipiell gespart werden und steht in diesem Fall dem Wirtschaftskreislauf nicht mehr zur Verfügung. Durch das "Zurückhalten" von Geld sinke die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Um dieses Problem einzudämmen, werden Zinsen für das Leihen von Geld bezahlt, wodurch das Geld wieder nachfragewirksam wird. Zinsen unterstützten aber langfristig die Kapitalkonzentration und Monopolbildung und tragen nach Ansicht der Freiwirtschaft zu einer "wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich" bei.

Außerdem seien Zinsen nach Auffassung der Freiwirtschaft auch ein recht unzuverlässiges Mittel der Umlaufsicherung. Wenn der Zins nicht attraktiv genug ist, werde das Geld nicht investiert, sondern gespart oder für 'Spekulationsgeschäfte" eingesetzt. Demgegenüber würden diejenigen Wirtschaftsteilnehmer benachteiligt, welche auf eine entsprechende Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen angewiesen sind.

Denn im Gegensatz zu Geld verlören Waren schnell an Wert, wenn sie gelagert werden müssen bzw. verursachen hohe Kosten. Bei starker Zurückhaltung von Geld komme es irgendwann zur Deflation, da die Unternehmen gezwungen seien, ihre Preise zu senken. Die Marktteilnehmer würden nicht merken, dass sie durch die Geldzurückhaltung eine positive Rückkopplung dieser Tendenz verursachten und damit genau die Wirtschaft zerstörten, die ihnen für Geld etwas leisten soll.

Der Theorie der Freiwirtschaft nach ist diese systembedingte Selbstdestabilisierung eine der Hauptursachen für den Krisenzyklus der Wirtschaft.

Um das Sparen unattraktiv und zur Wiederverwendung des Geldes als Tauschmittel beizutragen, sowie gleichzeitig das Geld den Waren gleichzustellen, müsse es nach Ansicht der Freiwirtschaftler zeitlich ebenfalls an Wert verlieren, statt sich selbst zu vermehren. Dieser Ansatz wird von der Freiwirtschaft verfolgt, wobei als Lösung die Sicherung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes mittels einer Gebühr auf (Bar-)Geld (Durchhaltekosten, Bargeldsteuer) vorgeschlagen wird.


Geldreform

Das Geld einer Volkswirtschaft nach freiwirtschaftlichen Prinzipien ist Freigeld, es hat nur befristet vollen Wert und muss regelmäßig gegen eine Umlaufsicherungsgebühr, z.B. 0,5 % im Monat, erneuert werden oder, um der Gebühr zu entgehen, vor Ablauf des Verfallsdatums zum Erwerb von Gütern und Dienstleistungen ausgegeben werden.

Aktien, Anleihen und Bankguthaben ermöglichen die langfristige Kapitalanlage, während das Geld allein für kurzfristige Tauschzwecke dient, womit wirtschaftsschädigende Veränderungen der Umlauffrequenz des Geldes langfristig auf ein Minimum reduziert werden. Guthaben aller Art werden strikt vom Geld unterschieden und nach der freiwirtschaftlichen Hauptmeinung nicht mit einer direkten Umlaufgebühr belegt, denn bei der Entstehung eines Guthabens wechselt das Geld seinen Besitzer, was erwünscht ist.


Die Verwendung von Ersatzwährungen wird von der Freiwirtschaftslehre als Wettbewerb der Währungssysteme ausdrücklich begrüßt, weil nach dem Greshamschen Gesetz zuerst die weichere Währung zur Zahlung verwendet und die härtere Währung gehortet wird. Jede Ersatzwährung beinhaltet zudem ein gewisses Preisverfallsrisiko, das möglicherweise die Höhe der Geldumlaufgebühr übertrifft. Eine Aufwertung der Freigeldwährung (bei gleichzeitiger Erhebung der Geldumlaufgebühr für Bargeld und Girokonten) würde den Besitzer einer Freigeld-Anleihe gegenüber dem Devisenbesitzer besserstellen.

Bodenreform

Nach der Freiwirtschaft würde allerdings ein solches Freigeld, da nicht mehr zur Geldspekulation zu gebrauchen, eine Kapitalflucht in Boden erzeugen. Um das zu verhindern soll der Boden (bei voller Entschädigung der Besitzer) in Eigentum der Gemeinde überführt werden und aller staatlicher Boden muss von den staatlichen Institutionen an den Meistbietenden verpachtet werden, wenn er nicht für ausdrücklich hoheitliche Zwecke gebraucht wird.

Der Boden gehört als Freiland der Gemeinde und kann von Privat- und juristischen Personen nur selbst genutzt oder gepachtet werden. Auf welche Weise Miet- und Pachtobjekte in Allgemeineigentum umgewandelt werden können und sollen, wird unter den Vertretern der Freiwirtschaft diskutiert.

Eine andere diskutierte Option ist es, das Bodeneigentum mit einer entsprechenden Steuer zu belegen, die in der Höhe der Bodenrente entspricht.

Bodenrente, Miete und Zins sind im Allgemeinen als "arbeitslose Einkommen" definiert, die durch Überlassung knapper Güter erzielt werden. Nach freiwirtschaftlichen Beispielrechnungen müssen heute im Durchschnitt rund 30 % der erzielten Preise zur Deckung von Renten- und Zinsforderungen verwandt werden. Diese Einkommen sollen langfristig der Allgemeinheit zugeführt werden, in gleichem Maße, wie das Wirtschaftswachstum langfristig gegen Null tendiert.

Ziele

* Die allgemeinen Zinsen auf Guthaben bzw. Renditen von Kapitalanlagen sollen durch die Umlaufgebühr des Freigeldes als allein gültiges Zahlungs- und Sparmittel aufgehoben werden.

* Dadurch keine künstliche Realkapitalverknappung bzw. eine gleichmäßige und dauerhafte (Hoch-)Konjunktur durch den durch die Umlaufgebühr hervorgerufenen maximalen Investitions- und Konsumzwang, wodurch es weniger professionelle Spekulanten, aber mehr Spekulation der Allgemeinheit gibt, denn eine Geldwirtschaft ist unprofitabel und daher kaum vorhanden.

* Vermeidung von Inflation und Deflation durch bekannte und stabile Geldmenge

* Langfristige Senkung der Arbeitszeit im Vergleich zu heute infolge Produktivitätssteigerung.

* Starke Verkleinerung der Kluft zwischen Arm und Reich durch die Unattraktivität des Zinses und verhinderter Vermögenskonzentrationen

* Die Freiwirtschaft hat ursprünglich keine konkrete ökologische Komponente; man geht aber davon aus, dass sie Liquidität für umweltschonende Investitionen zur Verfügung stellt und sich der steigende Ressourcenverbrauch einer wachsenden Volkswirtschaft durch ergänzende Maßnahmen (beispielsweise Ökosteuer) kompensieren läßt.


Die Freiwirtschaft in der Praxis

Die Brakteaten

Bereits im Hochmittelalter wurde eine Art Freigeld eingeführt. Landesfürsten ließen die damaligen Münzen (Brakteaten) in regelmäßigen Abständen einziehen und gaben neue Münzen gegen einen Abschlag aus. Dieses System einer halbjährlichen 25%-Abwertung des Geldes zu einem Stichtag entspricht einer Umlaufgebühr, die auch für Freigeld charakteristisch ist. Der zu dieser Zeit stattfindende rasante Wirtschaftsaufschwung wird von den Freiwirtschaftlern mit dem Geldsystem in Verbindung gebracht.

Der Modellversuch von Wörgl

Im Jahr 1932 wurde in der Tiroler Gemeinde Wörgl aufgrund der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ein Modellversuch mit freiwirtschaftlichem Ansatz durchgeführt. Kernpunkt war die Einführung einer mit einer Umlaufsicherungsgebühr behafteten Währung mit einer 1%-Abwertung im Monat. In der Folgezeit wurde der Geldkreislauf und auch die Wirtschaftstätigkeit – entgegen dem allgemeinen Trend – wiederbelebt. Die positiven Auswirkungen führten dazu, dass man den Modellversuch in der Presse damals als das "Wunder von Wörgl" bezeichnete und das Interesse daran derart stieg, dass über hundert weitere Gemeinden in Österreich dem Beispiel folgen wollten. Allerdings legte die Österreichische Nationalbank vor Gericht erfolgreich Widerspruch ein, woraufhin das Modell von Wörgl und alle weiteren Planungen verboten wurden. Da in der Folge die Weltwirtschaft wieder anzog und bald darauf der 2. Weltkrieg ausbrach, gerieten das Modell und sein Erfolg schnell wieder in Vergessenheit.


Moderne Regiogeld-Modelle

Verschiedene moderne Regiogeld-Projekte und Tauschringe beziehen sich ebenfalls auf freiwirtschaftliche Ansätze (beispielsweise in Form einer Umlaufsicherung) und verknüpfen diese mit den Zielen regionaler Wirtschaftsförderung.


Organisationen der Freiwirtschaft

Die traditionellen Freiwirte haben sich unter anderem im

* der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung INWO,

* im Deutschen Freiwirtschaftsbund

* im Verein Equilibrismus

zusammengeschlossen.

Als politische Organisation wurde 1947 die Radikal-soziale Freiheitspartei RSF gegründet. 1953 entstand als Nachfolgeorganisation die Freisoziale Union (FSU), die inzwischen in der HUMANWIRTSCHAFTSPARTEI (Humanwirtschaftspartei) aufgegangen ist. Innerhalb der Partei Bündnis 90 / Die Grünen gibt es die Aktion Dritter Weg / Liberalsoziale, die freiwirtschafliche Ideen vertritt und sie in der Zeitschrift "Alternativen" veröffentlicht. Vor einem christlichen Hintergrund widmen sich die Die Christen für gerechte Wirtschaftsordnung e.V den freiwirtschaftlichen Theorien.

Folgende private Bildungseinrichtungen versuchen durch Kurse, Tagungen und die Herausgabe von Zeitschriften die freiwirtschaftlichen Theorien zu verbreiten:

* Sozialwissenschaftliche Gesellschaft e.V., Northeim

* Seminar für Freiheitliche Ordnung der Kultur, der Wirtschaft und des Staates e.V., Bad Boll

* In Varel befinden sich die Freiwirtschaftliche Bibliothek und das Wissenschaftliche Archiv der Freiwirtschaftsbewegung.

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Rolle der Freiwirtschaft in den Wirtschaftswissenschaften

Unmittelbar nach Gesell

John Maynard Keynes kam in seinem Hauptwerk General Theory of Interests, Employment and Money zu folgender Einschätzung der Gesellschen Lehre: "Die Welt wird vom Geiste Gesells mehr lernen als vom Geiste Karl Marx'." Angeregt durch o.g. Modellversuch in Wörgl plädierte auch der US-amerikanische Ökonom Irving Fisher dafür, Freigeld in einigen Städten und Gemeinden der USA einzuführen.

In der Gegenwart

In den heute gängigen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern und Zeitschriften wird die Freiwirtschaft selten diskutiert.

Bernd Senf, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin, präsentiert in seinem Buch Die blinden Flecken der Ökonomie die Freiwirtschaftslehre als eine von sieben historisch bedeutsamen Schulen der Volkswirtschaftslehre (neben Physiokratie, klassischer Ökonomie, Marxismus, Neoklassik, Keynesianismus und Monetarismus).

Die wissenschaftlichen Diskussionen der Freiwirtschaftler konzentrieren sich hauptsächlich auf den Kreis eigener Publikationen (z.B. die Zeitschrift "Humanwirtschaft" oder die "Zeitschrift für Sozialökonomie").

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Man verdirbt einen Menschen am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten, als den Andersdenkenden.
Friedrich Nietzsche

Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will.

Hermann Hesse

Es gibt keinen größeren Fehler als haben wollen.
Laotse


Zuletzt geändert von Azazin am 25.11.2005, 01:40, insgesamt 1-mal geändert.

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