Scarface – The Diary
Es gab Zeiten, da hatte Gangsta-Rap noch Hand und Fuß. Die Beats waren hart, ziemlich einfach und manchmal ein bisschen monoton, die Texte dementsprechend explizit und stellenweise wirklich böse. Jüngst ereilte mich die immer noch andauernde Druckwelle einer wahren Hardcore-Detonatioon aus dem Jahre 1994 – ich kramte “The Diary” mal wieder aus dem CD-Regal. Hinter dem äußerst bescheidenen Cover hat Scarface einen 13 Track starken, zeitlosen Leckerbissen für alle Freunde echter Street Raps geschaffen.
Sind die glatten Dudeltöne des Intros erstmal verklungen, geht’s gleich dick los: Face phantasiert sich in die Rolle eines schießwütigen Ghetto-“Jesse James” hinein, wütet dabei wie ein Irrer (die “Mothafucka”-Rate wird vor allem in “G’s” an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gedrückt) und wenn wir als Tatzeugen ob der fast schon audiovisuellen Wirkung von Face’ eingänglichem Stimmorgan nur noch “I Seen A Man Die” stammeln, wird längst “The White Sheet” über das imaginäre Opfer gebreitet. “The Diary” gibt uns die ganze Palette: von schonungslosen, brutalen Brettern ist über nachdenkliche bis hin zu depressiven, lebensmüden Nummern einfach alles dabei. Wer auch nur ansatzweise etwas anderes erwartet, der sollte sich nicht mal die Tracklist durchlesen: that’s what 1994 was all about! Keine Kiddie-Scheiße, keine Club-Thuggereien, vielmehr unbequeme Musik über die Geschehnisse in den schlecht beleuchteten Hinterhöfen von Houston.
Abgerundet wird die (leider etwas kurz geratene) Machtdemonstration von einer Ice Cube-Appearance, die uns den ewig zornigen Mann aus Los Angeles wieder als eine Rap-Ikone in Erinnerung ruft, die zur damaligen Zeit ebenfalls an ihrem musikalischen Zenit operierte. Wer den alten Geto Boys-Shit wie zum Beispiel “Til Death Do Us Part” pumpt, wird seine helle Freude daran haben, Face beim gewissenhaften Tagebuch-Eintrag über die Schulter spicken zu dürfen. Dieses Album strotzt nur so vor fetten Texas-Beats, ungefilterten Inhalten und der mächtigen Präsenz von Scarface, der sich seine heutige Ausnahmestellung unter anderem hiermit redlich verdient hat.
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