MJG – No More Glory
M(arlon) J(ermaine) G(oodwin), bekannt aus dem Memphis-Duo Eightball & MJG, hat mit “No More Glory” sein erstes Soloalbum an den Start gebracht. Anfänglich lag es von mir unbeachtet einige Monate in meinem Record-Store, ehe ich es mir erstmalig angehört habe. Den Anstoß dafür gab eine MD, die ein Freund von mir in der U-Bahn gefunden hat. Darauf enthalten war “Pimpin Aint Easy” vom “No More Glory”-Album. Absolut geflasht von diesem Song habe ich am nächsten Tag das komplette Album eingeatmet und es gehört bis heute zu meiner Standard-Ausrüstung im Auto – neben Bass und Warndreieck.
Das Album startet mit “Keep Your Mind” sehr chillig mit spacigen Hintergrundgeräuschen und soften Gitarren-Klängen, ehe es nach 40 Sekunden dann richtig losgeht: “keep your mind be strong you can’t be to impatient / the government is hatin them sticker boards is waitin / by your ride you tired of the way that life is treating you / your personal life is fucked up your baby momma beeping you”. Von diesem Moment an war mir klar: Die Zeit, in der ich seit Erscheinen des Albums diesen Stoff nicht gehört habe, war musikalisch gesehen verschenkte Zeit. Der Beat, der diesen Zeilen untersetzt wird, ist so klar und kopfnickend-motivierend, dass ich die CD sofort aus dem Player gerissen habe, um sie mir zu Hause in aller Ruhe auf meinem Sound-System anzuhören. Meine Fresse, das war ein Schlag auf meinen Hinterkopf, der mich aus dem Albtraum immer langweiliger werdenden Rap-Alben aufgeweckt hat. Im Beat ist nicht unbedingt ein Motiv bzw. Sample zu erkennen, der dieses Lied für sich selbst charakteristisch macht, aber eines sei gesagt: die Bassline gleitet mit dem Beat und MJGs Flow astrein mit. Gegen Ende eines Rhymes geben Spacesounds und mir nicht definierbare Instrumente dem Track den Rest. Inhaltlich politisch angehaucht möchte MJG: “I Wanna Just Free My Mind” oder “Explore My Mind”, welches ich ihm auch unkritisch abnehme.
Der zweite Song “Hip Hop Voodoo” ist ein dynamischer Track, der allein von den Hintergrundsounds her typisch Suave House repräsentiert. Im Refrain erwähnt MJG, dass er meine Gedanken unter Kontrolle hat und mich hier wie ein Voodoo-Püppchen vorführt – wie Recht er doch hat. Der nächste Track ist ein Skit, in dem MJG von seiner Lehrerin angemacht wird. Er soll sich gefälligst am Unterrichtsgeschehen beteiligen und nicht andauernd an seinen Raps feilen, da ihn seine Raps ja doch nicht irgendwo hinbringen. Mein Glück, dass er nicht auf sie gehört hat. Obwohl ich diesen Skit kritisch betrachte, zeigt uns hier MJG, dass mit Ehrgeiz, Skills und anderen Tugenden durchaus einiges erreicht werden kann. Am Ende des Skits zerknüllt die Lehrerin das Blatt von MJG. Vielleicht auch deshalb, um MJGs Gedanken frei von irgendetwas zu machen. “Good Damm Man” heißt der nächste Track, der schon so hammermässig beginnt, dass mein Kopf unbemerkt zu wippen anfängt und meine Augen wie zu Snoops Zeiten grimmig als auch relaxed dreinschauen. Nach ein paar Sekunden kommt schon ein smoove-gesungenes “la da da da da ooh, oh, ooh”, begleitet von Suave House typischen Piano- und Space-Samples. Die Lyrics sind sehr angeberisch aber auf keinen Fall unsymphatisch. Es geht um Knarren, Kloppe und Crooks, die wahlweise per Blei oder auch anders ums Leben kommen. Manche würden es überheblich nennen, ich nenne es selbstbewusst, da es u.a. heißt: “I’m a realist and a leader not a follower”. Er weiß, was er will und er weiß, wie er es anstellt. Sauber. Ich sehe diesen Text trotzdem ebenfalls kritisch, aber er macht einfach Spaß. Der Refrain ist sehr melodisch und folgende Zeile sei allen ans Herz gelegt: “I’m a good damm man, I’m a good damm man / just can’t stand that I’m a good damm man and I’m cool”. “I’m a good damm man” wird von MJG klanglich erbracht und “just can’t stand that I’m a good damm man and I’m cool” wird vom Chor sehr gefühlvoll eingeworfen. Besonders zu beachten ist hier das “cool”, das äußerst hoch gesungen vom Chor in den bereits rappenden MJG einfließt.
Track 5 “Shine And Recline” kommt sehr sommerfröhlich und Gute-Laune-mäßig daher. Sein Kumpel Eightball ist hier mit von der Partie und beide geben sich wie zu “Top Of The World”-Zeiten gewohnt lässig und passen zusammen wie die Faust aufs Auge. Nette Piano-Stücke am laufenden Band, kein mal langweilig, gepaart mit Southside-üblichen Gitarren und coolen Steichern sowie ein paar Glöckchen hier und da. Wohlgemerkt Glöckchen, nicht diese fiesen Monsterglocken von No Limit. Lyrisch geht’s ums Pimpin, Autos und auch die wunderbare Wortcombo “Space Age” fällt ebenfalls hier. Eightball bezeichnet sich als “cornbread fed south women luva / money-makin black fat muthafucka”, also alles noch in Ordnung bei den beiden. Es folgt “That Girl”. Ein Stück, das sogar meine Freundin in ihre Gehörgänge lässt. Ein sehr schönes, melodisch-gesungenes “That Girl” in immer wiederholter Form begrüßt uns am Anfang des Liedes, bevor uns MJG mit seinen Pimp-Tyte-Lyrics zeigt, wie gerne er eben dieses Girl haben möchte. Er fragt sich, wie er es am besten anstellt, dass er das Mädel bekommt; viele andere haben es nämlich nicht geschafft, sie zu erobern… Beat-technisch gibt es hier eine relaxte Hit-und-Snare-Combo, die von (meiner Meinung nach) einer Mundharmonika, diversen Gitarren und einem Chor passend und innovativ untermalt wird. Dieser Track ist sehr angenehm anzuhören und hat sich bei einigen Partys von mir als durchaus ladylike-tanzbar erwiesen.
“Slippin” folgt als ein dynamischer, lyrisch-aggressiver Track, der gegen Mitte des Liedes einen Skit beinhaltet. Insgesamt zwei Strophen gibt hier MJG zum Besten, in denen es um Bedrohungen, Überfälle und Mord geht. Im Skit wird eine Person von seiner Freundin verraten und überfallen. Im Hintergrund läuft ein Eightball & MJG-Track aus alten Tagen – durchaus action- und fluchlastig. Übergangslos rappt MJG anschliessend die zweite Strophe. Die Snare in diesem Beat ist zum Mitklatschen geeignet, jedoch aufgrund des Textes nur bedingt dazu fähig. Dem Song wird ein etwas nervender aber vielleicht trotzdem passender, langgezogener Ton untersetzt, der nicht meine volle Überzeugung erhält. Wahrscheinlich hätte ich MJG davon abgeraten, diesen Ton zu verwenden und ihn ganz weggelassen – inhaltlich passt er jedoch zum ganzen Track. Zu erwähnen ist noch der Refrain, der gesungen dargestellt wird: “they want ya money, they caught ya slippin’ baby they’re gonna take it away from you, it’s true / they saw ya coming they got ya running and pulled out they’re weapons, what are you gonna do”.
“Take No Shit” als Track 8 ist einer meiner Lieblinge auf diesem Album. Musikalisch auf höchstem Niveau zeigen uns hier MJG, Bun B von UGK und The Fedz aus der Suave House-Ecke, was “pimp hard” bedeutet und was getan werden muss, wenn ein paar Jungs blöde gucken. Der Beat und die flowigen Raps können voll überzeugen, vor allem MJG in der dritten Strophe. Besonders zu beachten ist das “third eye” von MJG in seiner Strophe – ich liebe diesen dahingezogenen Klang seiner Stimme, der charakteristisch für das ganze “No More Glory”-Album ist. “Third eye” soll im Übrigen das dritte Auge sein, das man – wenn vorhanden – am besten im Rücken trägt, um so unangenehmen Überraschungen vorbeugend entgegenzuwirken. Ich zitiere die Zeile im Ganzen: “making moves, watching my back, third eye / killers wanna jack but the fact they heard I”. Diese Gedankensprünge im ersten Part sind ebenfalls typisch für MJG. Es sind einfache Wortkombinationen und Metaphern, die nur im Zusammenhang aller Zeilenteile den Sinn erkennen lassen. Einfach sauber.
Nun folgt der schon oben erwähnte Track “Pimpin Aint Easy”. Hier wird mir immer wieder bewusst, wie wichtig dieses Album in meiner Sammlung ist. Ein pimpiger, relaxter, und sehr für Schäferstündchen geeigneter hinschleppender Beat unterstützt das immer wiederholt gesungene “pimpin aint easy but somebody got to do it”. Der Bass sauber eingespielt, ein paar Strings leise im Hintergrund und south-typische Gitarrenklänge – mehr braucht dieser Track nicht. Um es allen deutlich zu machen, die den Song nicht kennen: MJG rappt hier keine einzige Silbe, aber ich wüsste auch kein Album, wo dieser Track besser hinpasst als zum “No More Glory”-Album. Ich kombiniere manchmal diesen Track mit weiteren pimpig-relaxten Tracks wie von den Polyester Playas – Pimpin Aint Easy aus der Too Short-Ecke, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen – “mood”, wie Isaac Hayes immer so schön singt.
Track 10 nennt sich “Black Mac Is Back”. Eightball ist auch hier wieder am Start. MJG rappt insgesamt zwei Strophen – die erste und die dritte. Eightball gibt demnach in der zweiten Strophe sein Bestes. Wie gewohnt relaxed aber energisch droppen die beiden Funky Battle-Texte, die einfach Spass machen. Sehr gut gefallen haben mir die folgenden Lines von Eightball: “shake hoes in diguise, show me some love / ugly hoes turn to models when they walk in the club” und “Mississippi, Chi-Town, from New York, to L.A. / freaky hoes love kissin’ on my big bel-lay”. Es sind diese kleinen Beobachtungen und Super-Mini-Kurz-Geschichten, die mir lyrisch so einiges geben. Vom Beat her gibt es keinen Zweifel. Es klingt, als würde alles aus einer Hand gespielt, alles passt, alles sitzt. Sehr gut gefallen hat mir hier das alle-4-Zeilen-wiederkehrende “oohh”, welches an MC Rens Hounddogz aus dem “Kizz My Black Azz”-Album erinnert. Auch die kurz angezupften Streicher dienen einer perfekten South-Atmo.
Der 11. Track ist gleichnamig mit dem Album: “No More Glory”. Ein schnellerer, dynamischer Beat sorgt hier für eine Lautstärkenbeeinflussung in Richtung 10. Lyrisch flucht MJG auf schlechte MCs und insgesamt die Musikbranche (music industrie heisst korrekt übersetzt Musikbranche; bisweilen ist mir der umgangssprachliche deutsche Begriff Musikindustrie des Öfteren untergekommen, welcher in vielen Fällen aber durchaus aussagekräftiger ist.) Der Refrain bringt es dann auf den Punkt: “no more glory for the one’s who don’t believe / no more glory for the women I had to leave / no more glory for the one’s who close they ears and the one’s play blind when they see me all the time it’s / no more glory for the haters in the face / no more glory for the one’s who can’t relate / no more glory for the smiles in my face / no more glory no more glory”. Das “no more” im Refrain wird dermassen aggressiv von einer Schar böser Männer gebrüllt, dass man als Major-Label-Owner oder als einer der anderen angesprochen Personen erschreckt zusammenzucken möchte. Hier wird auch deutlich, dass es wohl einige Barrieren in MJGs Leben gegeben hat. Musikalisch ist auch hier wieder ein langgezogener Ton unter dem ganzen Track gesetzt; hier passt er aber vorzüglich hinein und nervt keinesfalls. Vielmehr betont er den Ernst der Lyrics und schafft zusammen mit ein paar Streichern eine bedrohliche Atmosphäre. Erste Sahne.
“What Is This” folgt im wunderbaren Suave House-Style. Drei Strophen voller MJG und Memphis-Flavour. Der Beat wird von einer klasse Bassline untersetzt und einige Space-Sounds runden das Ganze ab. Kurze Piano-Samples werden treffsicher eingesetzt. Auffallend ist hier die Snare, die mit einem kurzen Echo bzw. Hall bearbeitet wurde. Auch hier ist MJGs typischer Rap-Flow mit den lang gezogenen Rhymes und der einmaligen Betonung vortrefflich zu hören. Textlich geht es hier in Richtung poetische Lyrics (“what is this, reality or just a dream / everything ain’t what it seems picture it on a tv screen / what is this, visions of a broken hope / strategies of the most serious wisdom just a joke”), die – grob umrissen – auch die Musikbranche betreffen: “how come every MC feel he got the skills to sell a mill / but when my record sell a mill ah hell that shit just can’t be real”. Als Einstand in den Song sei allen folgender Rap ans Herz gelegt: “I’m a Memphis born pimp don’t nobody wanna flex / raised up in Orange Mound, live in T-E-X-A-S”. Ich liebe es, wenn Rapper Worte buchstabieren. In welcher anderen Musikrichtung ist das so üblich und wird so brilliant umgesetzt?!
Die folgenden beiden Tracks “Questions” und “Don’t Hold Back” sind nur im Zusammenhang reviewbar. “Questions” ist ein ca. 1-minütiges Midtro für das folgende “Don’t Hold Back”. Bitte nur im Zusammenhang anhören, da “Don’t Hold Back” sonst seinen speziellen Reiz und seine Wirkung verlieren könnte. Das Midtro ist quasi eine instrumentale Einleitung für das bevorstehende Suave House-Feuerwerk. Hier werden MJG von Reporten Fragen gestellt und man hört Fotoapparate. Irgendwann setzt dann der Bass unter tosendem Applaus ein – ein wirklich geiler Moment. Der Bass bleibt zwar als erkennbares Motiv gleich, jedoch ändert er im Fortlaufenden seine Stimmlage… meine Fresse, wie geil. Dann geht es auch schon los: “Don’t Hold Back”. Ein energischer Refrain begrüßt uns, um uns an einer Orgie teilhaben zu lassen. Es wird wie bei einem Start für einen sportlichen Event von fünf auf eins herunter gezählt und schon befinden wir uns mitten in der Story. “As we begin ya perfume clouds the room, soft rain / sprinkle down homie massage away the pain” und “now smile, naw better yet say ahh / do it in the back of a car like a star” in Verbindung mit dem dynamischen Beat zeigt uns, dass MJG der Latin-Lover schlechthin sein muss, voller Action und doch sehr offen für sinnliche Einzelheiten.
“Reflections” ist ebenfalls ein Midtro, das mit lockeren Gitarren- und Synthie-Sounds untersetzt ist. MJG reflektiert hier über den Tod, die Zeit und Rap. Er lässt auch hier wieder seinen Gedanken freien Lauf und sagt was er denkt und stellt sich selber Fragen, die er zu Interpretationszwecken teilweise unbeantwortet lässt. Was mich hier am Zuhören reizt, ist zum einen seine “Sprech”-Stimme und die Echos und Spracheffekte während er spricht. Sehr lässig. “Hard But Fair” ist einer meinen liebsten Tracks, die ich im Auto pumpe. Der Song fängt sehr langsam und smooth an, “hard but fair” wird gesprochenerweise immer wiederholt bis der Beat einsetzt und uns um die Ohren fliegt. Ein leiser Trompeten-Sample und einige Synthie-Sounds begleiten uns durch ein Lied, dass eine Lebenseinstellung des Interpreten zu sein scheint. Eher auf unser heutiges System zurecht geschnitten und aktuell als arrogant und kalt kommt mir das Thema dieses Tracks vor. Man kann als “hard but fair” nicht nur die Behandlungsweise von Frauen beschreiben, welche wohl hier durchaus sexistisch gemeint sein könnte. Vielmehr und analog dazu kann man es in alle Lebensbereiche interpretieren, sowohl im Job als auch für Menschen, denen man auf der Straße begegnet. Aber auch ein Augenzwinkern MJGs ist in diesem Song denkbar. Prädikat: Bombe.
Bei “Middle Of The Night” ist wieder Eightball dabei. Er beginnt auch den Song. Inhaltlich geht es um Frauen, die man am besten nachts trifft, um der Lieblingsbeschäftigung der Pimps nachzugehen. Dieser Track erinnert mich an Eightballs Solo-Album Lost, vor allem wegen des Basses und des Beats. Der Refrain zeigt wieder MJG-typischen Suave House-Flow, ein bisschen Getoaste mit musikalischen Spielereien seiner Stimme.
Zusammenfassend kann man sagen, dass man mit “No More Glory” ein Album hat, welches musikalisch auf höchstem Niveau arbeitet und auch textlich seine Höhen an passender Stelle zum Ausdruck bringt. Das Album macht Spaß und groovt ordentlich. 3rd coast at it’s best mit einem MJG, der als Hennessy-trinkender Freidenker aus Memphis mein musikalisches Weltbild in Richtung Süden endgültig verschoben hat.
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