Brotha Lynch Hung – Season Of Da Siccness: The Resurrection
Zwei Jahre nach seinem gelungenen Debüt “24 Deep” brachte Brotha Lynch Hung 1995 sein 2. Solo-Release auf den Markt. Während ersteres mit gerade mal sechs Songs den Fans der Materie wohl kaum ausreichte, kann man den Nachfolger getrost als erstes richtiges Album bezeichnen.
Bisher hatte der Garden Blocc-Rapper schon Gangsta-Stuff der härtesten Machart abgeliefert, doch hier nimmt er teilweise die nächste Stufe zum lyrisch demonstrierten Wahnsinn. Schon im Outro des Vorgängers hatte er sich als “Cannibal” bezeichnet, dieses jedoch wenn überhaupt nur unterschwellig in den Texten anklingen lassen. Vorgestellt als Baby Killa legt Lynch über einen rollenden Piano-Beat, unterstützt von Synthie-Klängen, im Opener “Siccmade” los . Zeilen wie “I’m like J. Dahmer, chewin’ up all the evidence” sind nur der Anfang von Fantasien zwischen Kannibalismus und Nekrophilie. Für manche mag es schockierend und des Guten zuviel sein, doch genau so wird der Zuhörer durch den markanten Flow gefesselt. Dass hier raptechnisch die Fähigkeiten vorhanden sind, ist keine Frage, und wie Lynch mit den Tempowechseln spielt, ist unnachahmlich und auf höchstem Niveau. Dies hier stellt die Schattenwelt des G-Funk und der Westcoast dar, fernab der Sonne Südkaliforniens und fernab von glänzenden Lowridern.
So werden in “Rest In Piss” gnadenlos Feinde und andere Störenfriede unter die Erde gebracht, denn er ist “sicker than sick / and you niggas gotta admit when i grab my shit you either gone or get caught with a hot one”. Abgründe menschlichen Handelns kommen einem zu Ohren im “Return Of Da Baby Killa”. Kinder, bloß nicht nachspielen was Mr. Siccmade und Sicx hier ablassen, denn besonders notorische Texte wie “eatin baby brains, baby veins, baby spines / i know they be cryin’ when i’m cuttin’ off da neck” zeigen eine kaum gekannte Brutalität, die den Ruf von Brotha Lynch Hung geprägt hat seitdem. Kannibalismus ist demnach ein Thema das sich quer durch dieses Album zieht, da textlich das Drücken des Abzugs nicht immer das Ende des Geschehens ist.
Etwas konventioneller geht dagegen es zu bei “Locc 2 Da Brain” unter Unterstützung einer Handvoll Rapper von Baby Reg bis zur sehr überzeugend auftretenden First Lady Of Siccmade, Zagg, die auch als einzige der Features überzeugen kann (“ain’t no stoppin’ cuz the devil said i’m halfway dead / what can i say, i got them evil thoughts fillin’ my head”) in diesem Song, der sonst eher solide Kost ist. Darauf folgt dafür mit “Liquor Sicc” ein großartiger Song über Tod und Vergeltung, bei dem Lynch seinen Frust über das Ableben eines Homies freien Lauf lässt, denn es heißt “this is real deal shit, it’s not about crip or blood / it’s about payback”. Definitiv ein Highlight auf diesem Album, was dann auch das musikalisch belanglose Gedudel bei “Datz Real Gangsta Shit” vergessen lässt, das höchstens den Skip-Button in Wallung bringt.
Das Feature von Mr. Doctor hätte auch nicht sein müssen auf “Deep Down”, zu groß ist der qualitative Unterschied zu seinem damaligen Mentor in diesem Song über eine Welt wo die Hoffnung fern und der Tod nah ist. Da heißt es dann mit “flaunt your flag, shoot your gat, hit your dank” quasi Augen zu und durch, denn jeder ist ein “dead man walkin” wie im thematisch und auch soundtechnisch sehr ähnlichen Folgetrack sinniert wird. Im Titeltrack lässt sich Lynch dann noch einmal hörenswert im Ragga-Stil aus, Spice 1 lässt grüßen. Zum Ende lässt der Tod dann noch Willkommensgrüße ausrichten in einer Symbiose aus Weedrauch und Gunshots, und auch der Teufel darf natürlich nicht fehlen im Gespräch mit seinem lyrischen Abgesandten aus Sac-Town.
Dass die Produktion hier teilweise nicht auf dem Niveau der Raps ist und gelegentliche Eintönigkeiten vorherrschen, ist zwar unüberhörbar, jedoch zu verschmerzen da ein konstantes Niveau ohne große Schwankungen gehalten werden kann. Die im Hintergrund gehaltenen Beats erfüllen ihren Zweck und lassen den nötigen Spielraum um die Lyrics wirken zu lassen. Der schmale Grat zwischen Unterhaltung und Wahnsinn, dem ein derartiges Alben standhalten muss, wird hier somit letztlich noch souverän gemeistert. Es wäre demnach genauso falsch vor lauter Kritik die musikalische Qualität zu vergessen, als auch den Künstler auf die hier dargestellten Extreme zu reduzieren. Lynch selbst hat einmal gesagt, dass dieses Werk in einer Phase seines Lebens entstand, wo es ihm mental schlecht ging. Und wenn man dann die düstere, teilweise verstörende Atmosphäre dieser Platte als Reflektion seines Inneren sieht, ist es auf eine gewisse Weise wieder einzigartig und keine Brut eines kranken Geistes. Das macht die Faszination und auch den Höhepunkt der “Siccness” aus.
Nie wieder gab von Brotha Lynch Hung ein vergleichbares Album. Das nennt man dann Reifeprozess, und das ist auch gut so. “Season Of Da Siccness” sollte man auf jeden Fall gehört haben, schon um die immer noch existierende Kontroverse nachvollziehen zu können.
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