Rap-Mastermind Dr. Dre
"HipHop hat keine Ideen mehr"
***Die HipHop-Produzenten Jimmy Iovine, 56, und Dr. Dre, 44, gelten als Pioniere des US-Gangsta-Rap. Iovine ist Chef von Interscope Records und arbeitete in seiner Karriere unter anderem mit John Lennon, Bruce Springsteen und U2. Dr. Dre, der mit bürgerlichem Namen André Young heißt, schaffte seinen musikalischen Durchbruch in den Achtzigern mit der Band N.W.A. und verhalf HipHop-Größen wie Eminem, Snoop Dogg und 50 Cent zu Erfolg.***
Sie gelten als Überväter des US-Gangsta-Rap - und sind einflussreiche Größen der Branche. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview sprechen Dr. Dre und Produzent Jimmy Iovine über miesen HipHop in Zeiten der Finanzkrise, fette Autoanlagen und ihre Hoffnung auf den nächsten großen Poeten.
SPIEGEL ONLINE: Mister Iovine, Dr. Dre, Sie geben beide äußerst selten Interviews. Nun kommen sie nach Europa, nur um Ihren neuen Kopfhörer Beats by Dr. Dre vorzustellen. Steht es so schlimm um die Plattenverkäufe?
Iovine: Nein. Die Musik heute klingt einfach fürchterlich. Die digitale Revolution läuft schief. Schon für eine CD rechnet man die ursprüngliche Master-Aufnahme kleiner. Aber wenn eine MP3-Datei daraus geworden ist, klingt es nicht mehr so, wie es klingen sollte. Spielen Sie das mal über ihre Computerlautsprecher ab! Oder über diese fürchterlichen Knopfhörer, die man sich ins Ohr steckt. So kann es nicht weitergehen. Wir sind die einzige Industrie der Welt, die glaubt, mit ständiger Produktverschlechterung Geld verdienen zu können. Schauen Sie sich das Fernsehen an: Plasmabildschirme, Blu-ray - jeden Monat gibt's was Neues. Und wir? Es klingt immer schlechter!
SPIEGEL ONLINE: Dr. Dre, Ihr Kollege, der Produzent Rick Rubin, hat einmal gesagt: Wenn er wissen will, ob eine Platte wirklich gut klingt, höre er sie sich in seinem Auto an.
Dr. Dre: Das mache ich genauso. Die meiste Musik wird im Auto gehört. Also muss sie dort gut klingen. Ich nehme die fertig gemischte CD, gehe aus dem Studio auf den Parkplatz und höre mir das Stück im Auto an. Das ist der letzte Qualitätstest.
Iovine: Aber Sie müssen wissen, dass Rick Rubin und Dre unglaubliche Anlagen in ihren Autos haben. Normale Autoanlagen klingen auch wie Dreck!
SPIEGEL ONLINE: Sie sind auf einer Mission, oder?
Dr. Dre: Ist er. Kann man so sagen.
SPIEGEL ONLINE: Vielleicht stimmt aber auch mit dem musikalischen Produkt etwas nicht.
Dr. Dre: Ich hoffe, ich kann etwas zum Wechsel beitragen.
SPIEGEL ONLINE: Was ist das Problem?
Dr. Dre: HipHop fehlt es an Substanz, ganz einfach. Die Musik hat keine Ideen mehr. Da hat sich ein riesiger Hohlraum gebildet. Im Grunde kann jetzt die nächste Musik kommen und den Laden übernehmen.
SPIEGEL ONLINE: Hat das etwas mit der Finanzkrise zu tun? HipHop war immer eine Musik, die den schnellen Reichtum gefeiert hat, den individuellen Aufstieg, das Durchboxen, den Markt. Das sind ja Vorstellungen, deren Ruf etwas gelitten hat.
Dr. Dre: So sieht's aus. Das ist vorbei. Jetzt muss was Neues her.
SPIEGEL ONLINE: Das sagen Sie als jemand, der Snoop Dogg, Eminem und 50 Cent groß gemacht hat? Will Dr. Dre, der Erfinder des Gangsta-Rap, die Moral in den HipHop zurückbringen?
Iovine: (lacht) Ausgerechnet.
Dr. Dre: Nein, HipHop ist eskapistische Musik. Im HipHop sollte weder gepredigt werden, noch sollte man den Lehrer spielen.
SPIEGEL ONLINE: Sie hören sich sehr resigniert an. Spüren Sie denn die Aufregung noch? Nach all den Jahren?
Dr. Dre: Absolut. Ich liebe es immer noch, Musik zu machen. Das ist der Thrill. Wenn es einmal draußen ist, ist es mir egal.
SPIEGEL ONLINE: Wirklich? Sie hören sich nie Ihre alten Platten an?
Dr. Dre: Nein. Nie.
SPIEGEL ONLINE: Ist gute Musik.
Dr. Dre: Die alten Platten haben sich für mich in Zahlen verwandelt, Verkaufszahlen.
SPIEGEL ONLINE: Seit Jahren ist das Erscheinen von "Detox" angekündigt, Ihrem neuen und, wie es heißt, letzten Album. Bis heute ist nichts herausgekommen. Woran liegt's?
Dr. Dre: Ich versuche, es richtig zu machen. Ich mache keine Platte, hinter der ich dann nicht stehen kann.
SPIEGEL ONLINE: Wird sie eher opulent oder minimalistisch?
Dr. Dre: Das habe ich noch nicht so richtig klar.
Iovine: Kommt drauf an, von welchen Stücken wir hier sprechen. Es gibt schließlich ein paar hundert ...
SPIEGEL ONLINE: Sie warten begierig darauf, endlich ein Ergebnis zu bekommen, höre ich durch?
Iovine: Gar nicht. Ich bin ganz gelassen. Was immer er macht, es wird großartig werden. Dre soll machen, was er will.
Dr. Dre: Das habe ich gehört.
Iovine: Kein Problem.
SPIEGEL ONLINE: Was ist ihr Blick auf HipHop?
Iovine: Was ich im Augenblick mit großer Freude und Neugier beobachte, ist die Verschmelzung von HipHop und Club-Musik aus Europa. Ich liebe das. Aber am Ende geht es im HipHop darum, was die Leute zu sagen haben. Da gibt es gerade Defizite. Ob das nun jugendfrei ist oder nicht, moralisch wertvoll oder nicht, das interessiert mich nicht. Ich warte auf den nächsten großen Lyriker. Jemanden, der eine Geschichte zu erzählen hat. Davon abgesehen, bin ich sehr glücklich mit diesem Club-Einfluss.
SPIEGEL ONLINE: Sie sagen, HipHop sei eskapistische Musik. Ist dieses Club-Element gerade so stark, weil es eine Ablenkung von der düsteren wirtschaftlichen Situation ermöglicht?
Iovine: Möglich. Wenn ich in die Siebziger zurückschaue: Damals habe ich mein erstes Haus gebaut. Ich musste 17 Prozent Zinsen auf den Kredit bezahlen. Krisenzeit, wie heute. Und Disco glühte. Ich bin kein Soziologe. Aber vielleicht haben Sie recht. Vielleicht gibt es da eine Verbindung. Allerdings: Es braucht immer diese Jungs Anfang zwanzig, die genug Feuer haben, einen Weltenbrand anzufachen. Rock brauchte Kurt Cobain. Im HipHop waren das zuletzt Eminem und Jay-Z. Das kann aus England kommen, oder aus den USA - das ist ganz egal. Nur diese Persönlichkeit muss da sein. Im HipHop fehlt so einer zur Zeit. Jemand, der eine neue Geschichte erzählt. Oder eine alte Geschichte neu erzählt.