Ich halte das für ein sehr interessantes, aber auch komplexes und sehr umfangreiches Thema. Deswegen will ich mich erst einmal kurz fassen und auf einige wenige (wie ich finde) zentrale Punkte beschränken. Mal sehen, in welche Richtung sich die Diskussion noch entwickelt und wie du die Schwerpunkte setzen willst.
Zunächst halte ich es für unbedingt notwendig, die Entstehung dieses Gedankenguts historisch einzuordnen. Wenn du dich in das Thema eingelesen hast, dann weißt du, dass Fard die Nation Of Islam 1930 gründete. In einer Zeit also, in der es im gesamten us-amerikanischen Staatsgebiet von obskuren religiösen und politischen Sekten nur so wimmelte: 15 Jahre zuvor, also 1915, hatte etwa mit dem Ku-Klux Klan eine Gruppierung ihr Comeback gefeiert, die diese beiden Themenfelder auf eine sehr eigenwillige, ja abstruse Art zusammenführte und sich innerhalb kürzester Zeit zu einer ernstzunehmenden politischen Macht entwickelte. Im öffentlichen Leben herrschte Rassentrennung, von einem Martin Luther King war man damals noch Lichtjahre entfernt, ein Ende der Lage also nicht in Sicht.
In diesem Klima wurde die NOI gegründet: ich denke man kann sie als eine Trotzreaktion auf dieses politischen Umstände einordnen. Daher verfolgte die NOI auch eine doppelte Stoßrichtung: auf politischer Ebene wurde der Traum vom (schwarzen) Staat im Staate geträumt, in religöser Hinsicht hielt man dem vornehmlich "weißen" Christentum einen eigenen Schöpfungsmythos und den Anspruch auf die "richtige" Deutung und Bewertung der Bibel entgegen. (Glaubensgrundsatz: "Wir glauben, dass Allah in Master W. Fard Muhammad im Juli 1930, als der lang erwartetet Messias der Christen und der Mahdi der Muslime erschien.") Aus dieser Zeit stammt auch die Bezeichnung der Weißen als "Teufel", wie man sie ja bis vor einiger Zeit noch regelmäßig in Rapsongs hören konnte, gerade auch bei den von dir angesprochenen Gruppen.
Inwiefern diese wirre Weltdeutung für die NOI heute noch verbindlich ist, kann ich schlecht einschätzen. Leider bekommt man hier kaum schlüssige Meinungen zu hören, in den meisten Fällen beschränkt man sich auf Phrasen, Schlagworte und Gedankenfetzen - die beim genauerer Untersuchung allerdings wenig Sinn machen. Fakt ist, dass die NOI heute wesentlich moderater auftritt, ihr Vokabular enthärtet hat und in erster Linie politische Ziele wie die Verbesserung der sozialen Lage bedürftiger Afro-Amerikaner verfolgt. Der religöse Unterbau der Anfangstage spielt eher mentalitätsgeschichtlich und ästhetisch eine Rolle. Das heißt: die Botschaft wurde den äußeren Bedingungen angepasst.
Und an diesem Punkt kann man wohl auch in Sachen Rapmusik einhaken. Lapidar gesagt: viel Getöse, wenig dahinter. Als Beispiel könnte man Ice Cube anführen, der ja bis zu "Lethal Injection" (1993) einen heftigen Flirt mit der NOI hatte und heute nur noch einem Gott opfert: dem Mammon. Wie die religiösen Leitbilder der NOI im Laufe der Jahrzehnte ausdifferenziert und relativiert wurden, so mäßigte man sich auch in der Musik mehr und mehr im Ton. Im Grunde dieselbe Entwicklung - im Zeitraffer. Ich persönlich denke allerdings, dass auch schon Anfang der 90er Jahre, als die ganze Bewegung ja noch viel stärker politisch aufgeladen war, das in den 30er Jahren propagierte Gedankengut nur noch rudimentär vorhanden war. Interessant ist dabei wieder die Entwicklung von Ice Cube, dessen Anbandeln mit der NOI ziemlich exakt mit der aufgepeitschten Stimmung der Rodney King Riots (1992) zusammenfällt.
Die NOI ist in der Rapmusik also eher eine Chiffre für schwarzes Selbstbewusstsein, politischen Protest und oft wohl auch nur ein ästhetischer Kunstgriff. Auch wenn der Wortschatz zum Teil derselbe geblieben sein mag, haben wir es heute wohl eher mit Wort
hülsen zu tun. Zum einen hat die Bewegung überhaupt nicht das theoretische Rüstzeug, ihren Anhängern ein schlüssiges Weltbild anzubieten - theologisch und philosophisch betrachtet ist das ganze Gesabber von Yacub und seinen weißen Teufeln ein einziges Desaster. Und zum anderen ist es ja sehr auffällig dass viele Musiker sich im Lauf weniger Jahre gemäßigt oder gleich komplett verwandelt haben - eine echte Überzeugung legt man sicher nicht so schnell ab.
Zu guter Letzt will ich noch deinen Spruch "Sind die Schwarzen wirklich alle so strunzdumm?" entschärfen. Im geschichtlichen Kontext kann man "den Weißen" sicher nicht weniger Dummheit attestieren (siehe oben). Im Übrigen stand zur selben Zeit in Europa der Faschismus hoch im Kurs, und wer "Mein Kampf" gelesen hat, der weiß, dass sich NOI und Hitlerismus ideologisch nicht viel schenken.
So long Cowboy, ich muss weiter.
