Raekwon – Only Built 4 Cuban Linx… Pt. II
Stell dir vor, du gehst irgendwohin, sagen wir mal, in einen Lebensmittelladen oder ein Restaurant und dort wiederum begibst du dich auf der Stelle in einen hinteren Laggerraum, ein Hinterzimmer, Büro, was auch immer. Dort sitzt er, der Chef der Bande: Verhältnismäßig ein klein wenig in die Jahre gekommen, mit einer Statur auf die der Spitzname “Biggie Smallz” wohl besser zutreffen würde als auf Biggie selbst. Dieser jemand sitzt also da, vor ihm Unmengen an Koks auf dem Tisch, während im Hintergrund Filme aus Fernost laufen. Du setzt dich hin und fängst an zu lauschen, denn dieser Jemand hat dir viel zu erzählen und das tut er verdammt filmreif: Über die Herstellung und Verbreitung von Koks, über das Leben im Knast und dem Ausbruch aus selbigem, Raub, Mord und anderen unmoralischen aber lukrativen Tätigkeiten. Seine rauhe, rauchige Stimme zieht dich sofort in den Bann und sie lässt keinen Zweifel an der erfahrenen Ernsthaftigkeit ihrer gesprochenen Worte.
Willkommen bei Raekwon und seinem Opus “Only Built 4 Cuban Linx… Pt.II”, welches satte 14 Jahre nach dem ersten Teil nun auf die Menschheit losgelassen wurde. Und zwischenzeitlich schien es, als würde es nie rauskommen: Zwischen ersten Ankündigungen und tatsächlichem Release lagen locker mindestens 4 Jahre, der Erwartungsdruck war somit, auch angesichts des wegweisenden Debüts, unermesslich hoch. Und auch nach dem Release sind die Stimmen durchaus geteilt, manche finden es langweilig und enttäuschend, andere ernennen es zum Album des Jahres. Die Wahrheit liegt wohl vermutlich irgendwo dazwischen.
Musikalisch fährt Rae zweigleisig und präsentiert zumindest im ersten Drittel des Albums den sehnlichst erwarteten, typischen Wu-Sound, womit er gleich eine direkte Brücke zum 1995er Album schlägt: Vertraute Klänge ertönen im Intro, nämlich die des Outros von vorher. Dann geht es Schlag auf Schlag: “House of Flying Daggers” ist so unfassbar knüppelharter Wu-Tang Scheiss wie er selbst schon in den 90ern begeistert hätte, ebenso wie “Gihad” und “New Wu”. Doch danach lockert das Soundbild auf und präsentiert von nun an größtenteils den New Yorker Sound des laufenden Milleniums. Rae leitet behutsam über und verlegt sein Mafiababy erfolgreich in die Jetztzeit, in dem nun mehr Raum für Abwechslung gelassen wird: Alchemist lässt in “Surgical Gloves” einen mächtigen Synthieorgelstampfer von der Leine, der von Rae meisterlich gehandhabt wird und auch RZA betont bei “When the Fat Lady Sings” eher das cineastische Ambiente des Projekts und spätestens bei den beiden simplen wie sehr effektiven Dr. Dre Bangern weiß man, dass man einen kleinen, schelmischen Mittelfinger auf musikalischen Komplettstillstand gibt.
Es ist natürlich diese musikalische Auflockerung, die der geneigte Hardcorefan nicht sehr gerne sieht und die im Anbetracht der Erwartungen durchaus zunächst einmal gewöhnungsbedürftig erscheinen kann. Doch gerade hier zeigt sich die Eigenschaft, die wirklich große Alben ausmacht: “Only Built 4 Cuban Linx… Pt. II” ist ein Grower wie er im Buche steht und wird mit jedem Komplettdurchgang besser. Keine Ansammlung von Hits, sondern ein durchdachtes Werk, dass letztendlich mehr als die Summe seiner Teile ist: Pickt man nur einzelne Tracks heraus, üben sie längst nicht dieselbe Faszination aus, wie es “Pt. II” im Gesamten tut und das kann man Raekwon nicht hoch genug anrechnen.
Und auch was die rappenden Protagonisten angeht, so kann gesagt werden, dass hier niemand was anbrennen lässt. Raekwon klingt wie ein altehrwürdiger Mobster-Don, dessen unheimliche Präsenz keinen Zweifel daran lässt, dass es sich bei ihm um das Epizentrum dieses Ereignisses handelt. Sein Partner in Crime Ghostface Killah spuckt hitziges Feuer wie eh und je und beide lassen die alte Chemie aufleben, für die sie einst als eines der besten Duos überhaupt im Rap angesehen wurden. Nahezu der komplette Restclan bringt motivierte Verse mit ein, wobei ganz besonders ein scheinbar wieder erstarkter Inspectah Deck genannt werden muss, der auf “Black Mozart” den wohl spielerischsten Flow des Albums sportet und an glorreiche Zeiten erinnert und an ihnen anknüpfen kann.
Nummer 1 bei Itunes. Top 10 der besten Alben des Jahres 2009 im “Times Magazine”, auf Platz 7 (und damit das einzige Rapalbum in dieser Liste). Die letztendlich doch für eher weniger möglich gehaltene positive Rezeption ist berechtigt: Inhaltlich unbeirrbar und kompromisslos, musikalisch generationenumspannend und in raptechnischer Hinsicht nach wie vor ein einzigartiges Gebirge in der Brandung, ist “Only Built 4 Cuban Linx… Pt. II” tatsächlich ein würdiger Nachfolger geworden, der auch durch seine 77 Minuten und 24 Anspielstationen (in der europäischen Fassung) epische Ausmaße annimmt. Ein Album, das auch diese Bezeichnung redlich verdient: Es ist scheinbar unmöglich es nicht in einem kompletten Durchgang zu hören, wenn man es würdigen möchte. Klassiker? Hab ich nicht gesagt. Aber wenn das Teil so weiterwächst wie bisher, dann stehen die Zeichen definitiv günstig. Wir reden nochmal in 10 Jahren darüber.
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