Mitchy Slick
San Diego ist die zweitgrößte Stadt Kaliforniens und dank seines angenehmen Klimas ein Mekka für Erholungssuchende und Surfer schlechthin. San Diego hat aber auch eine andere Seite. Es ist ein Mekka für Straßengangs, welche zu den brutalsten Kaliforniens gehören. Sie wickeln drei Viertel aller Drogentransaktionen an der mexikanischen Grenze ab. 92 % aller Gangmitglieder landen im Gefängnis oder sterben auf der Straße. Aus dieser Welt stammt Mitchy Slick von der Strong Arm Steady. Während Mitchy Slick mit seinem Debütalbum “Triggeration Station” zunächst nur eingefleischten Westcoast Rap Fans ein Begriff war, braucht er sich über den Erfolg seines neuen Albums “Urban Survival Syndrome” nicht mehr zu beschweren. Das Album erschien auf dem Label von DJ Muggs (Cypress Hill/ Soul Assassins), Angeles Records. Trotz des Erfolges weiß Mitchy Slick, wie schlecht es um die Rapszene an der Westküste steht. Die Musikindustrie macht nach wie vor einen riesigen Bogen um diesen Bundesstaat, was nicht zuletzt auf die Gangs zurückzuführen ist. Die Frage nach einem Ausweg aus diesem Teufelskreis kann man sich ersparen. Es gibt keinen. – Sascha Weigelt unter Mithilfe von Puddahman für Juice und ugrap.de
Du sagst immer und überall, was Du machst, wäre kein Rap, noch weniger HipHop. Was machst Du dann?
Rapper machen mehr als nur Musik, sie haben ein Image. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Typ von der Straße, repräsentierte kein Image, sondern meine Nachbarschaft, South East San Diego. Die Stadt selbst ist extravagant, ich repräsentiere die andere Seite.
Dein Album, “Urban Survival Syndrome” war bereits vor drei Jahren angekündigt. Warum erscheint es erst jetzt?
Jedes Mal, wenn ich die Platte fertig hatte, eröffneten sich neue Möglichkeiten für mich, und ich habe von vorne angefangen. Jetzt war die Zeit endlich reif für die Veröffentlichung. Ich möchte schließlich nicht ewig im Untergrund arbeiten!
Wie bist Du auf DJ Muggs und Angeles Records gestoßen?
Ich kannte die Belegschaft bereits. Es war daher auch mehr eine Freundschaftssache, mein Album bei ihnen zu veröffentlichen. Durch die Arbeit mit DJ Muggs und dem Umfeld von Cypress Hill kann ich mich der gesamten Westküste präsentieren. Mein erstes Album, “Triggeration Station”, erschien auf meinem eigenen Label, Wrong Kind Records. Für dieses Album gab es bereits damals schon einen Joint Venture mit Angeles Records.
Wo sind die anderen Künstler aus San Diego auf deinem Album? Wir reden hier von I-Rocc, Don Diego, Ecay Uno, Black Mikey, und warum hat Cricet diesmal nur einen Track produziert?
In San Diego wird der Gang Codex sehr streng gehalten, deshalb sage ich ja auch, ich bin kein Rapper. Sämtliche Künstler aus San Diego sind fest mit der Straße verwurzelt. Sie sind dort nicht nur aufgewachsen, sondern auch aktive Gangmitglieder. Ich bin ein Lincoln Park Blood, LPB. Einige der vorgenannten gehören zu den Crips. Trotzdem zählen sie zu meinen Freunden, mit welchen ich in der Vergangenheit öfters im Studio war. Damu ist auf meiner neuen Platte nicht dabei, dafür habe ich Tiny Doo. Er ist einer der heißesten neuen Künstler aus San Diego! Wie gesagt, die Gangpolitik spielt bei uns eine wichtige Rolle. Außerdem ging es mir mit “Urban Survival Syndrome” darum, ein Album für die gesamte Westküste, und nicht nur für San Diego aufzunehmen. Deshalb habe ich auch Platinkünstler wie Jelly Roll, DJ Khalil, W.C. oder Xzibit mit auf das Album genommen. An der Westküste herrscht Krieg! Suge Knight, Snoop Dogg und Dr. Dre haben die Industrie überrollt. Das erzeugte Neid. Der Rest des Landes fing an, uns abzukupfern. Alle können sie ihre Musik frei veröffentlichen, nur an der Westküste ist das nicht so einfach. In der Musikindustrie [der USA] spielt Kalifornien auch nur eine untergeordnete Rolle. Die großen Plattenfirmen sitzen an der Ostküste oder im Süden des Landes. Allein des Gangcodes wegen kann Snoop Dogg nicht mal eben so mit mir ins Studio gehen. Um Aufmerksamkeit in Los Angeles zu erlangen, bin ich aber gezwungen mit Künstlern wie ihm oder W.C. aufzunehmen. Bei allem Respekt vor I-Rocc, Don Diego oder Ecay, sie sind Legenden in San Diego. In Los Angeles können sie mir leider nicht helfen. Die South-Side-Szene hat DJ’s von der Straße in den Radiostationen sitzen. Bei uns in Kalifornien sucht man sie leider vergebens. Unter meinen Freunden von der Straße gibt es nicht einen einzigen DJ, sondern fast ausschließlich nur Gang Banger und Dope Dealer. Man braucht also bekannte Künstler auf seinen Platten, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Jetzt, da ich W.C. habe, kommen Interscope und Universal auf mich zu, weil ihnen meine Platte gefällt. Während der Achtziger hat uns [die Radiostation] KDAY unterstützt. Heute kann Julio G aber auch nicht mehr einfach so NWA spielen wie früher, denn alles dreht sich um Glamour und Glitz. Ist man in Los Angeles nicht angesagt, ist man es auch nicht im Rest Kaliforniens. Ich sehe es daher als meine Mission an, die Westküste zu vereinen.
Die Strong Arm Steady, hat kürzlich auf Talib Kweli’s Blacksmith unterschrieben. Was hältst du davon, und wann können wir mit der ersten Veröffentlichung rechnen?
Das Album kommt im ersten Quartal 2007, und ich liebe diesen Deal! Talib hatte niemals eine Platinplatte, weiß aber, wie man Künstler wie uns vermarktet. Wir Künstler der Westküste machen keine Popmusik! Einige von Snoop’s Aufnahmen waren Pop, trotzdem blieb er original. Wir machen Musik von der Straße für die Straße. Unsere Musik läuft nicht in den Vororten, und wir machen auch keine Musik für die Clubs, während Rap die Clubs erobert. Unsere Künstler kommen von der Straße. Damit kann die Musikindustrie nichts anfangen.
Es gibt verschiedene Versionen, wie sich die Strong Arm Steady zusammenfand. Die einen sagen Xzibit, die anderen Krondon…
Krondon hat die Strong Arm Bewegung ins Rollen gebracht, keine Frage!
Und welche Rolle hat Xzibit gespielt?
Jeder einzelne hatte etwas mit Xzibit zu tun. Entweder war er Mitglied der Likwit Crew oder Barber Shop. Einige sind von meiner Crew, Wrong Kind. Nicht zu vergessen sind Ras Kass und Defari. Strong Arm Steady ist mehr als nur eine Rapgruppe. Wir sind eine Bewegung!
Bei Strong Arm treffen verschiedene Charaktere aufeinander, Du mit Gangsterrap, Spontaneous mit B-Boy-Styles, Phil The Aganoy von den Liks,… Wie kommt ihr auf einen gemeinsamen Nenner?
Man muß uns als das betrachten, was wir sind: eine Gruppe Solokünstler. Wir lassen es krachen, nicht nur mit unseren Raps, sondern auch mit unseren Beats! Bei Strong Arm Steady wird Mitchy Slick zum Rapper. Wenn ich mit ihnen ins Studio gehe, bin ich ein anderer Mitchy Slick als auf meinen Soloalben. Ich nehme mir mehr Zeit für Texte. Meine Soloalben sind dagegen Konzeptalben. Während zum Beispiel die Rapper erzähleb, wie oft sie im Knast saßen, erzähle ich auf meinen Alben von den Frauen, die ausschließlich mit Knasties in die Kiste springen. Solche Frauen gibt es wirklich! Was Strong Arm Steady anbelangt, so sollte man sozial genug sein, sich einer Gruppe unterordnen zu können. Dafür komme ich überall hin und gebe nicht nur für Murder Dog Interviews. An der Westküste. müssen wir schließlich flexibel und Neuem gegenüber offen sein, wenn wir etwas erreichen wollen. Ansonsten haben wir keine Chance. Talib Kweli gibt mehr Shows an der Westküste als C-Bo, Dilated Peoples oder Mitchy Slick! Wir müssen immer auf die Gangs Rücksicht nehmen. Sie machen alles kaputt! C-Bo braucht nur auf dem Flyer zu stehen, schon läuft die Polizei ein und löst die Party auf. So ging es mir übrigens letzte Nacht mit meiner Releaseparty.
Wie lief es dann im Juni diesen Jahres auf Tour mit DJ Quik?
Das war das Beste, was mir passiert ist, seitdem ich rappe! (Warte kurz, ich muß mir schnell die Zähne putzen…) Ich kam mir vor wie ein Superstar! Wir traten in riesigen Arenen auf. Nach dieser Tour riefen auch die ganzen Labels bei mir an. Ich traf auf ein neues Publikum, nicht mehr nur die Jungs aus San Diego. Wir traten im House Of Blues in Hollywood auf. Größer geht es nicht mehr! Das House Of Blues ist für die Westküste das gleiche wie das Apollo für New York. Quik und ich, wir sind uns nähergekommen und werden auch in Zukunft zusammenarbeiten. Er ist ein Genie!
Gleichzeitig standest du mit Talib Kweli in New York auf der Bühne, das genaue Gegenteil. Wie war das?
Ich sagte doch, Mitchy Slick ist flexibel! Wäre ich das nicht, würde ich heute nicht mehr leben. Kweli ist ein Perfektionist und Improvisator zugleich. Common Sense stand mit uns auf der Bühne, und unsere Show war komplett improvisiert. Bei aller Liebe, welche ich für C-Bo oder Yukmouth habe, kannst du sie dir auf einer Bühne mit Talib und Common vorstellen? Sie machen Gangster Rap für die Straße. Unsere Show in New York war das beste Beispiel für meine Wandlungsfähigkeit.
Erzähl doch bitte etwas über das New West Movement! Worum dreht es sich dabei?
Es begann in Los Angeles. Meine Idee des Movements deckt sich nicht mit der Realität. Für mich wäre es in erster Linie ein Lichtblick für die vielen neuen Künstler von der Straße. Tatsächlich läuft es aber so ab, dass die Urväter ihre Platten veröffentlichen, ohne sich nach uns umzusehen. Das Movement ist personenbezogen. Bei allem Respekt, wir sind keine Künstler mit Majordeals wie Mack 10 oder Ice Cube, sondern kommen von der Straße und müssen sehen, wo wir bleiben. Was ist also mit G. Malone, Lunch oder Young Hootie?
Bei dieser Gelegenheit, wonach hast du die Künstler im Text von “I Know” auf deinem Album ausgesucht, zum Beispiel Big Hutch von Above The Law?
Big Hutch kennt meine Musik nicht, respektiert aber meine Originalität. Er war dabei, als ich für mein Album und Xzibit aufnahm. Fragt man mich nach meiner Lieblingsgruppe, dann sind es Above The Law! Die Künstler auf “I Know” haben den gleichen Blickwinkel wie ich und führen den gleichen Kampf. Daz kenne ich beispielsweise nicht persönlich, aber er ist wie ich ein Untergrundkünstler. „I Know“ entstand genauso spontan wie alle anderen Titel, ohne dass ich mir vorher Gedanken über die Namen gemacht habe. Die Texte auf meinen Alben gleichen sich niemals mit denen vom Papier. Die Westküste wird ständig kopiert, man trägt weiße T-Shirts oder Dickies und fährt Lowrider in den Videos. Es ist cool, Westküste zu spielen, aber kaum, dass jemand von der Westküste kommt, ist er out und zuviel Gangster. Alle reden sie davon, man solle mit dem Gang Bangin aufhören. “I Know”! Ich weiß, was wirklich abgeht. “I Know”, ihr kopiert alle nur. Damit kann ich aber leben, schließlich müssen wir alle unser Brot verdienen. Peinlich ist es trotzdem. Die Plattenfirmen erkennen nicht, dass der gebrochene Mann von der Straßenecke ein Star sein könnte. Er heißt eben nicht Jermaine Dupri, Trick Daddy oder Damon Dash. Woher kommen Juelz Santana, Lil’ Wayne und T.I.? Wäre T.I. von der Westküste, würde sich kein Mensch für ihn interessieren! An der Westküste gibt es keine schwarzen Majorlabels. Suge Knight und Death Row waren die letzten. Damals hat Snoop die Welt aus dem Nichts erobert.
Wie bist Du zum Rap gekommen? Das Gangsterdasein dürfte zunächst bessere Umsätze gebracht haben, oder?
Am Anfang hat mich das alles nicht interessiert, weil ich in der Musik keine Möglichkeit sah, über Nacht reich zu werden. Jemand von der Straße, der reichlich Geld hatte, stellte eines Tages ein Label auf die Beine und nahm Don Diego aus meiner Wrong Kind Clique unter Vertrag. Don Diego stand übrigens vor drei Wochen auf der Liste der meistgesuchten Verbrecher Amerikas. Nicht, dass er irgend etwas Schlimmes getan hätte, aber stand auf der Liste! Don erzählte mir jedenfalls von seinen Erlebnissen, Videoaufnahmen, dicken Autos und Shows. Zur gleichen Zeit sah ich ein Video von Master P im Fernsehen. Er stellte die Sache so hin, als könne es jeder von der Straße zum Rapstar bringen. Man brauchte keine Wettbewerbe gewinnen, um ein Rapper zu sein. Im Video sah ich Dealer, welche ihr Geld [in Musik] investierten, anstatt ständig darauf herumzureiten, dass sie und wie sie dealen. Bei den Geschichten, die ich zu erzählen hatte, und so wie die Leute von der Straße auf meine Geschichten abgingen, dachte ich mir, warum sollte ich nicht auch ein Star sein können wie Master P?
Wie funktioniert dein Label, Wrong Kind Records?
Wrong Kind ist mehr als nur ein Label. Mein Vater leitet Wrong Kind Customs, eine Harley Motorradwerkstatt. Wir sind überall in San Diego vertreten, als Klamottenmarke, auf Stickern, überall! Wrong Kind, das sind meine Homies, mein Cousin Lil’ Mitch, Tiny Doo… Wir sind die Death Row Records von San Diego! (lacht) Warte kurz! Ich bin gerade in einem Laden, der CD’s von mir kaufen möchte…
In Interviews gibst Du Dich gewöhnlich sehr zuversichtlich, was Deine Karriere anbelangt. Welche konkreten Pläne hast Du für die Zukunft?
Eines solltet ihr über Mitch wissen: Ich bin nicht zuversichtlich was meine Zukunft anbelangt, sondern zufrieden mit dem, was ich habe. Ich kann es mir leisten, original zu sein. Schaut euch doch diese ganzen Rapper mit ihren lustige Attitüden an! Hey, ich bin heilfroh, überhaupt noch am Leben zu sein! Ric Nutt und Don Diego stehen gerade wieder vor Gericht. Die Polizei schlägt uns regelmäßig zusammen. Aber abgesehen davon geht es mir gut.
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